Friday, March 29, 2024
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Brief des ISJ-Präsidenten an den Chefredakteur von DIE Zeit

Herrn Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur
DIE ZEIT
Buceriusstraße, Eingang Speersort 1
20095 Hamburg
den 17. Oktober 2021

Sehr geehrter Herr di Lorenzo,
als Präsident des „Internationalen Komitees „Auf der Suche nach Gerechtigkeit (ISJ)“ und ehemaliger Vizepräsident des Europäischen Parlaments wende ich mich an Sie, um Ihnen von einer dringenden, schwer wiegenden Angelegenheit zu berichten; sie betrifft die seltsame Anfrage einer Frau Luisa Hommerich, die sich als Reporterin der Wochenzeitung DIE ZEIT vorgestellt hat.
Das Internationale Komitee „Auf der Suche nach Gerechtigkeit“ erfährt Unterstützung von 4000 Abgeordneten aus Europa und den Vereinigten Staaten. Am 14. Oktober 2021 um 20 Uhr sandte Frau Hommerich an das Vertretungsbüro des Nationalen Widerstandsrates Iran (NWRI) ein Schreiben mit 30 ziemlich tendenziösen Fragen und forderte eine Antwort bis Montag, den 18. Oktober, 18 Uhr. Diese Mitteilung, die eher einem Ultimatum als einer unparteiischen journalistischen Anfrage ähnelt, bezieht sich auf mehrere beunruhigende Angelegenheiten.

1. Man kann Frau Hommerich nicht als eine typische Journalistin bezeichnen. In den Jahren 2016 und 2017 studierte sie im Iran und hielt sich im Januar 2018 erneut eine Zeit lang in Teheran auf. Es ist nicht überraschend, dass sie bereits 2018 als „Reporterin“ für den deutschen SPIEGEL einen fast identischen Ansatz verfolgte und sogar ungebeten auftauchte vor den Toren von Ashraf-3, einer Kleinstadt, in der Mitglieder der wichtigsten iranischen Oppositionsgruppe, der Mujahedin-e Khalq (MEK), leben.

2. Jetzt hat sie – wie damals, als sie sich 2018 an den NWRI wandte – ähnliche Fragen vorgebracht. Sie hatte damals Dokumente erhalten, die auf mehreren hunderten Seiten alle unbegründeten, als Fragen vorgebrachten Beschuldigungen im einzelnen widerlegten; doch sie erwähnte keines von diesen Dokumenten. Am 16. Februar 2019 veröffentlichte DER SPIEGEL einen Artikel über die in „Ashraf 3“ bestehenden inneren Beziehungen; darin war von „Restriktionen“ und „Folter“ innerhalb der MEK die Rede. Der von ihr verfaßte Artikel wurde noch vor seiner Veröffentlichung im SPIEGEL von größeren staatlichen Medien des Iran abgedruckt; er hinterließ kaum Zweifel daran, dass die iranischen Geheimdienste im voraus davon gewußt und höchstwahrscheinlich das gesamte Unternehmen inszeniert hatten. Zu den in besagtem Artikel zusammengestellten Anschuldigungen gehörte die Behauptung, dass die MEK „in Ashraf 3 dreimal in der Woche trainieren, wie man im Kamp Kehlen durchschneidet“.

3. Am 21. März 2019 ordnete ein Hamburger Gericht den SPIEGEL an, diese Anschuldigungen aus dem Artikel zu streichen. Für den Fall, dass dies unterbliebe, verhängte es ein Bußgeld in Höhe von 250 000 € oder ersatzweise sechs Monaten Haft. DER SPIEGEL hat dies Gerichtsurteil niemals angefochten und strich die Verleumdungen unverzüglich aus dem Artikel; er wußte ja, dass er für den Fall, dass er das Gericht herausforderte, mit noch schwereren Niederlagen zu rechnen hätte.

4. Auch eine andere Zeitung, die FRANKFURTER ALLGEMEINE, erhob ähnliche Beschuldigungen, und zwar in einem am 13. Mai 2020 auf ihrer Website veröffentlichten Artikel. Am 24. Juni 2020 ordnete das Hamburger Gericht die Streichung von drei gegen die MEK und ihre Mitglieder in Albanien erhobenen Beschuldigungen an und untersagte ihre Wiederholung. Die Zeitung entfernte die betroffenen Passagen aus der Geschichte. Die FRANKFURTER ALLGEMEINE legte gegen das Urteil Berufung ein, woraufhin das Gericht jedoch die ursprüngliche Anordnung bekräftigte und der Zeitung die Entrichtung aller mit dem Fall zusammenhängender Kosten auferlegte.

5. In beiden Fällen, dem des SPIEGELS und dem der FRANKFURTER ALLGEMEINEN, basierte ebenso wie in allen ähnlichen Geschichten, die in den Medien begegneten, die Masse der Beschuldigungen auf Lügen, die von Beamten des Ministeriums für Nachrichten der Islamischen Republik – welche sich als „ehemalige Mitglieder“ der MEK bezeichneten – erfunden worden waren. Eines dieser Individuen, Hadi Sani Khani, der vier Jahre lang in Albanien für das Geheimdienstministerium die MEK verteufelt hatte, schrieb am 14. Februar 2021 einen offenen Brief an den Generalsekretär der Vereinten Nationen und enthüllte darin eine der diesbezüglich vom Geheimdienstministerium angewandten Methoden. Er schrieb, er sei im September 2016 aus dem Irak nach Albanien gebracht worden. „Nach zwei Monaten, im November 2016, entschloß ich mich, weil ich den Kampf nicht mehr fortsetzen konnte, dazu, die Reihen der MEK zu verlassen, und wandte mich an das Büro des UNHCR in Tirana. Zwei Wochen später begab ich mich zu der iranischen Botschaft in Tirana. Vier Jahre lang befand ich mich darnach in der Falle, die mir das iranische Geheimdienstministerium (MOIS) und die Botschaft des iranischen Regimes in Albanien gestellt hatten. Während dieser Zeit unterhielt ich eine Zusammenarbeit mit offiziellen Agenten des MOIS in der albanischen Botschaft, darunter Fereidoun Zandi Ali-Abadi und anderen berüchtigten Agenten des MOIS wie Ebrahim und Massoud Khodabandeh, Gholamreza Shekari und Ehsan Bidi, später auch Hassan Heyrani. Sie setzten mich zur Verteufelung, Spionage, Sammlung von Nachrichten und Erkundung von Mustern gegen die MEK gerichteter Terror-Akte ein.“

6. Außerdem enthüllte Sani Khani die Art, wie das Geheimdienstministerium ein Netzwerk von Agenten mobilisiert und kontrolliert, die monatlich auf seinen verschiedenen Websites Artikel und Lügen veröffentlichen und sich dazu u. a. als ehemalige Mitglieder der MEK ausgeben. „Diese Leute bezogen im Monat €500 von der Botschaft. Nach den Befehlen der Botschaft müssen diese Söldner mindestens einen Account auf Facebook und Instagram einrichten und jeden Monat 12 gegen die MEK gerichtete Artikel verfassen, außerdem regelmäßig die von der Botschaft oder vom Geheimdienstministerium produzierten Gemeinplätze wiederholen.“ Außerdem engagierten sie sich – so berichtete Sani Khani – in einer umfangreichen Kampagne, die damit befaßt war, CD‘s mit Material zur Verteufelung der MEK an Medien und Abgeordnete in verschiedenen Ländern zu schicken. Er fügte hinzu: „Zu den Themen, die die Botschaft und das Ministerium diesen Agenten für ihre Interviews mit Geheimdienst-Veöffentlichungen bzw. für auf den Websites des Ministeriums unterzubringende Artikel vorschrieben, gehörten die Folterung der Dissidenten, der Mangel an Freiheit in den Beziehungen der MEK, die Gehirnwäsche, Geständnisse zu sexuellen Vorfällen und Gedanken, die Ermordung von Kurden und Schiiten im Irak, der Bezug von Geld aus den USA, Israel und Saudiarabien sowie die Idee, dass sie nukleare Informationen aus Israel erhielten und im Iran keinerlei Basis besäßen und keine Unterstützung durch das Volk erführen.“

7. Mit Bezug auf den besonderen Artikel des SPIEGELs, auf den oben hingewiesen wurde, erwähnte Sani Khani besonders Frau Hommerich: „Im September 2018 erfuhren wir durch die Botschaft, dass eine Reporterin der deutschen Zeitung DER SPIEGEL nach Albanien reisen solle; wir wurden gebeten, uns mit ihr zum Zwecke von Interviews zu treffen. Es war eine dreißigjährige Frau namens Luisa Hommerich; später erfuhr ich, dass sie 2016 und 2017 an der Teheraner Universität Islamwissenschaft studiert hatte und auch mit Mitgliedern der paramilitärischen Bassij zusammengekommen war. Wir trafen sie zusammen mit einer Gruppe anderer Agenten, die von der MEK desertiert waren, in einem Restaurant am Zagozi-Platz, Bezirk Ramsa. Wir alle erzählten ihr dann die die MEK betreffenden Lügen, die man uns zur Vorbereitung dieses Treffens aufgetragen hatte. Während der folgenden drei Monate stand ich mit ihr in Verbindung. Sie stellte mir gelegentlich weitere Fragen zur MEK, die ich dann mit der Botschaft besprach, um ihr die Antworten zu erteilen, die man mir gegeben hatte.“

8. Bei den 30 sog. Fragen in den neueren e-mails handelt es sich nicht wirklich um Fragen – weder in der Form noch in der Substanz. Wenn man sie liest, gewinnt man den Eindruck, dass Frau Hommerich ihre Folgerungen schon zuvor erhalten hatte und die e-mails nur abschickte, um den Eindruck zu erwecken, dass sie sich um ihre Be-antwortung bemühe. Was ihre Substanz angeht, sind die meisten dieser Beschuldigungen mehr als 30 Jahre alt; viele von ihnen basieren auf falschen, grundlosen Annahmen.

9. Ich kenne im Verein mit meinen europäischen und amerikanischen Kollegen, darunter dem verstorbenen Sir David Amess (der am vorigen Freitag im Vereinigten Königreich ermordet wurde), den NWRI und die MEK schon seit mehr als dreißig Jahren. Wir sind daher vertraut mit der massiven, aufwendigen Kampagne, die das iranische Ministerium für Nachrichten und Sicherheit (MOIS) zur Verteufelung der MEK betreibt. Das Teheraner Regime leugnet gar nicht die Tatsache, dass es Journalisten und angebliche Akademiker anheuert, um seine Propaganda und die Verteufelung der Opposition zu betreiben und seine terroristischen Ziele zu verfolgen. Ali Fallahian, ehemaliger Geheimdienstminister des Iran, sagte in einem am 17. Juli 2017 vom Fernsehen übertragenen Interview: „Um innerhalb und außerhalb des Landes Informationen zu sammeln, benötigt das Geheimdienstministerium eine Tarnung. Es entsendet keinen Beamten – etwa nach Deutschland, den Vereinigten Staaten oder Rußland -, der dann sagen würde: ‚Ich komme vom Geheimdienstministerium, bitte, statten Sie mich mit Informationen aus.‘ Sondern sie treten getarnt als Geschäftsleute oder Medienvertreter auf.“

10. Im Jahre 2005 leitete ich eine Delegation des Europäischen Parlaments, zu der Abgeordnete der nationalen Parlamente Europas gehörten, auf einer Reise nach Camp Ashraf im Irak, wo bis 2016 Mitglieder der MEK ansässig waren – bevor sie nach Albanien umgesiedelt wurden. Wir hatten die Gelegenheit, tausenden von Mitgliedern der MEK zu begegnen – Männern und Frauen – und offen mit ihnen zu reden. Am Ende unserer Reise veröffentlichte ein Komitee, dem ich angehörte, während ich Mitglied des Europäischen Parlaments war – die „Freunde eines freien Iran“ – einen detaillierten Bericht, der sich mit vielen der von Frau Hommerich in ihrer e-mail vom 14. Oktober erhobenen Beschuldigungen befaßte. Dieser Bericht wurde im Verein mit hunderten anderen Dokumenten Frau Hommerich und den Herausgebern des SPIEGELS im Jahre 2018 zugestellt. Bedauerlicherweise zogen sie es vor, alle diese Dokumente zu ignorieren.

11. Am 8. April 2016 nahm der deutsche Generalbundesanwalt einen Mann namens Meysam Panahi fest, der, getarnt als ehemaliges Mitglied der MEK, im Auftrag des Mullah-Regimes die MEK und den Nationalen Widerstandsrat des Iran ausspionierte und Nachrichten über sie sammelte. In der Folgezeit – im Juli 2016 – wurde er zu zwei Jahren und vier Monaten Gefängnis sowie dazu verurteilt, die Kosten des Verfahrens zu tragen. Während des Verfahrens stellte sich heraus, dass diese Person unter Leitung eines hohen Beamten des Geheimdienstministeriums in Teheran namens Sajjad in verschiedenen Ländern täglich mit der Sammlung von Informationen über die MEk beschäftigt war und sie dann an selbigen weitergab.

12. Am 12. Oktober 2019 gab der Leiter der albanischen Polizei während einer Pressekonferenz die Entdeckung eines vom religiösen Regime geleiteten Terror-Netzwerks in Albanien bekannt, das mit der Durchführung von Angriffen auf die iranische Oppositions-bewegung MEK befaßt war. Der Polizeichef sagte, ein Agent der Quds-Truppe des iranischen Regimes namens „Peyman“ organisiere und leite vom Iran aus die Attacken. Er fügte hinzu, verwickelt in diese terroristische Operation sei Alireza Naghashzadeh, ein Agent des iranischen Ministeriums für Nachrichten und Sicherheit (MOIS), der 1974 im Iran geboren worden sei. Naghashzadeh trug einen auf den Namen Irwin Aram ausgestellten Reisepaß und gab sich als „ehemaliges Mitglied“ der MEK aus.

13. In seinem enthüllenden Brief erwähnt Sani Khani außerdem zwei im Vereinigten Königreich operierende Söldner des Regimes: Massoud Khodabandeh und seiner Frau Anne Singleton. Sie spielten in dem Unternehmen, Reporter zu instruieren und nach Albanien zu entsenden, die Agenten des Regimes interviewen sollten, eine Schlüsselrolle; sie bedienten sich zu diesem Zweck auch lokaler Agenten. Ein Bericht über das Geheimdienstdienstministerium des iranischen Regimes, der von der Forschungsabteilung der Bibliothek des Kongresses der USA erstellte wurde, erklärte im Dezember 2012, dies Paar arbeite schon seit Jahren für das besagte Geheimdienst-ministerium. Es veröffentlichte ein Buch unter dem Titel „Saddams private Armee“. Das Buch führte dazu, dass Dutzende Mitglieder der MEK zu Unrecht getötet und viele andere verletzt wurden.

14. Es versteht sich von selbst, dass der Einsatz angeblich ehemaliger Mitglieder der MEK eine fadenscheinige Taktik ist, derer sich das MOIS bedient, um die MEK und den NWRI anzu-schwärzen. Europäische Geheimdienste, darunter das BfV in Deutschland und der AIVD in den Niederlanden, sind auf diese Angelegenheit in ihren Jahresberichten eingegangen. Auch der Brief von Herrn Sani Khani spricht Bände über diese Angelegenheit.

15. Im Jahre 2004 schrieb das deutsche Bundesamt für Verfassungs-schutz (BfV): „Das VEVAK (die persische Abkürzung zur Bezeichnung des MOIS) interessiert sich besonders für … die Volksmojahedin des Iran (MEK) und den den Nationalen Widerstandsrat des Iran (NWRI). Zu seiner Spionagetätigkeit bedient sich der iranische Geheimdienst eines Netzwerks von Geheimagenten, die, beaufsichtigt vom VEVAK, aus den Unterstützern der Organisationen und Gruppen rekrutiert werden. In den meisten Fällen gelingt die Rekrutierung von Zielpersonen, die im Iran zu Besuch sind. Während dieser Unternehmungen übt der Dienst auf die Zielpersonen Druck aus, indem er ihnen z. B. Repressalien gegenüber ihren im Iran lebenden Verwandten androht. Mit Personen, die nicht in den Iran reisen, wird telefonisch vom Iran aus Kontakt aufgenommen.“

16. In seinem Jahresbericht von 2011 schrieb der niederländische Dienst für Nachrichten und Sicherheit (AIVD): „Die Bemühungen Teherans, die Opposition ‚Organisation der Volksmojahedin des Iran (Mujahedin-e Khalq, MEK)‘ in den Niederlanden zu unterminieren, wurde im Jahre 2011 unvermindert fortgesetzt. In einer von den iranischen Geheimdiensten koordinierten und finanzierten Kampagne wurde mit den Medien und einer Reihe von Politikern und anderen öffentlich Bediensteten zu dem Zweck Verbindung aufgenommen, die MEK in einem besonders negativen Licht darzustellen.“

Angesichts des oben Mitgeteilten möchte ich Sie auffordern, sich dieser Sache persönlich anzunehmen und geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um das iranische Regime – das weltweit als Pariah-Staat angesehen wird – daran zu hindern, sich DER ZEIT zu bedienen, um die oft wiederholte Propaganda des Regimes zu verbreiten. Wenn dieser Fall einträte, so wäre das Ergebnis eine ernsthafte Beschädigung des Ansehens ihrer Zeitung.

Mit verbindlichen Grüßen

Alejo Vidal Quadras Roca
Präsident

About ISJ:
Inter national Committee In Sear ch of Justice (ISJ) was initially formed in 2008 as an informal group of EU parliamentarians to seek
justice for the Iranian democratic opposition. In 2014 it w as registered as a non-profit NGO in Brussels expanding its membership b eyo nd elected parliamentarians to former officials and other dignitaries w ith an interest to promote human rights, freedom, democracy, peace an d stab ility.