Friday, March 29, 2024
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Die Amtseinsetzung Raisis – ein Zeichen der systemischen Straflosigkeit und des Versagens der internationalen Gemein-schaft

Seit vielen Jahren fordert der iranische Widerstand eine internationale Untersuchung des 1988 an politischen Gefangenen begangenen Massakers. Doch die Institutionen der Regierungen haben wenig unternommen – geschweige denn die Vereinten Nationen. Stattdessen sandte die Europäische Union einen Vertreter zu der Amtseinsetzung des neuen Präsidenten des Regimes, Ebrahim Raisi, der in dem Massaker von 1988 eine Schlüsselrolle gespielt hatte.

Inmitten der Tatenlosigkeit der internationalen Gemeinschaft kam es zu einer seltenen Ausnahme: Im November 2019 verhafteten die schwedischen Behörden den ehemaligen iranischen Gefängnis-funktionär Hamid Noury. Am 10. August soll gegen ihn wegen Kriegsverbrechen und Mordes in Verbindung mit seiner Beteiligung an dem Massaker von 1988 ein Prozeß eröffnet werden.

Der Beginn dieses Verfahrens sollte die Regierungen des Westens zum Handeln anspornen, zumal er fünf Tage nach der Amtseinsetzung Raisis stattfinden wird.

Am 19. Juni, dem Tag nach der Wahlfarce im Iran, gab Amnesty International eine Erklärung heraus, die betonte, daß Raisi ebenso wie Noury – aus denselben Gründen – verfolgt werden müsse. „Daß Ebrahim Raisi zum Präsidenten erhoben wurde, anstatt daß gegen ihn wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit – Mordes, erzwungenen Verschwindens und Folter – ermittelt wird, erinnert auf grimmige Weise daran, daß im Iran die Straflosigkeit die höchste Gewalt innehat.“

Im Jahre 1988 war Raisi stellvertretender Staatsanwalt in Teheran, und darnach – als Ruhollah Khomeini die Fatwa erließ, die die Hinrichtung politischen Gefangenen anordnete – war Raisi allzu eifrig bemüht, die Rolle der führenden „Todeskommission“ des Regimes einzunehmen. Die so genannten Gruppen traten im ganzen Lande mit dem Auftrag zusammen, bekannte oder vermutete Mitglieder der Oppositionellen, besonders der Organisation der Volks-mojahedin des Iran, zu vernehmen und sie dahingehend unter Druck zu setzen, daß sie ihre politischen Ideale und Verbindungen aufgäben.

Iran: Eine Fatwa, die bei dem Massaker im Jahre 1988 30 000 politische Gefangene das Leben kostete

Viele von denen, die von der Todeskommission vorgeladen wurden, haben diesem Druck widerstanden. Ein Brief, der in der Zeit des Massakers von einem Funktionär einem anderen geschickt wurde, beschrieb die Art, wie ein Vernehmungsbeamter einen politischen Gefangenen zwang, zuerst die Opposition zu denunzieren und darnach seine Bereitschaft zu erklären, an dem Krieg gegen den Irak teilzunehmen, und erst dann einen Rückschlag erfuhr, als er den Häftling fragte, ob er bereit sei, im Dienste des theokratischen Regimes ein Minenfeld zu durchqueren.

Der Verfasser dieses Briefs, Hossein Ali Montazeri – der einzige Funktionär, der sich gegen diese Morde aussprach – zitierte den Vernehmungsbeamten, wie er dem Häftling sagte: „Es liegt auf der Hand, daß Sie bei ihren Meinungen bleiben“ und ihn sofort zur Hinrichtung schickte. Dies Vorgehen galt bei den Todeskommissionen allgemein; damit wird die Tatsache, daß im Verlauf von nur drei Monaten der Todeszoll des Massakers von 1988 bis zu mehr als
30 000 zunahm, erklärt.

Das Massaker an politischen Gefangenen im Iran 1988: Die Todes-kommissionen – den 5. August 2021

Zeugenaussagen machen klar, daß Raisi in seiner Beteiligung an den Exekutionen ebenso offensichtlich engagiert war wie irgendein anderes Mitglied der Todeskommissionen. Erhältliche Dokumente zeigen: Dieser Enthusiasmus trug dazu bei, daß Khomeini ihn zu einer der beiden Personen ernannte, die die vermutete „Schwäche der Justiz“ kompensierten, indem sie Fälle des politischen Dissenses ermittelten und „den Befehl Gottes“ auch in Gebieten außerhalb der ihnen zugewiesenen Zuständigkeit ausführten.

Diese Phrase: „der Befehl Gottes“ wurde von einer Reihe iranischer Funktionäre zur Bezeichnung des Mordes an politischen Dissidenten verwendet – besonders des Mordes an Mitgliedern der MEK. Der ehemalige Justizminister des Regimes, Mostafa Pourmohammadi, zitierte diesen Ausdruck in mindestens einem öffentlichen Interview, um das Massaker und die Rolle, die er dabei gespielt hatte, zu verteidigen und ausdrücklich zu rühmen. In den zurück-liegenden Jahren hat Raisi ähnliche Kommentare von sich gegeben; er betonte die angebliche Unfehlbarkeit des Höchsten Führers sogar in Bezug auf Fälle, in denen er die ihm Unterstellten angewiesen hatte, die politischen Feinde „ohne Gnade“ zu behandeln.

Diese Vorfälle haben der Präsidentschaftskandidatur Raisis nicht geschadet. Im Gegenteil nützten sie ihm offensichtlich; denn sie legten sein anhaltendes Engagement für politische Gewalttätigkeit und die Repression des Dissenses, besonders dessen der MEK, an den Tag, und dies in einer Zeit, in der das Regime im Lande mit beispiellosen Herausforderungen konfrontiert wird. Nachdem der Höchste Führer, Ali Khamenei, Raisi zum Leiter der Justiz ernannt hatte, genoß er die Gelegenheit, im November 2019 im Sinne dieses Engagements zu agieren, indem er die brutale Reaktion des Regimes auf den landesweiten Aufstand beaufsichtigte, der die populäre Forderung des Regimewandels zum Inhalt hatte.

Binnen wenigen Tagen nach dem Ausbruch der Demonstrationen im Iran wurden mehr als 1500 Menschen ermordet. Tausende weiterer Demonstranten wurden verhaftet; in den Gefängnissen des Regimes beherrschte noch Monate lang die Folter die Szene – ein Anzeichen der fortdauernden Erbschaft des Massakers von 1988 und des bleibenden Einflusses der dafür Verantwortlichen, die sich immer noch in leitenden Positionen des Regimes befinden, sowie eine kräftige Erinnerung an die Straflosigkeit, vor der Amnesty International nach der Wahl Raisis gewarnt hatte.

Diese Straflosigkeit muß von der internationalen Gemeinschaft endlich herausgefordert werden. Es wäre ganz einfach möglich durch die Einsetzung einer formellen Ermittlungskommission bei den Vereinten Nationen und Verfolgung der zu dem Massaker von 1988 vorliegenden Informationen – mit dem ausdrücklichen Ziel, gegen die bekannten dafür Verantwortlichen beim Internationalen Straf-gerichtshof Anklage zu erheben.