Thursday, March 28, 2024
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Iranische Exil-Politikerin Radschawi: „Ich bin die Stimme der Verfolgten und Ermordeten“

von FOCUS-Korrespondentin Ulrike Plewnia

Die iranische Exil-Politikerin Marjam Radschawi fordert im FOCUS-Online-Interview vom Westen eine klarere Haltung zugunsten der Aufständischen in den arabischen Ländern. Von Deutschland verlangt sie ein Handelsembargo gegen Teheran.

FOCUS Online: Madame Radschawi, was halten Sie von der Intervention der Amerikaner, Franzosen und Briten zugunsten der Aufständischen in Libyen?

Marjam Radschawi: Ich begrüße das Eingreifen, auch wenn es erst nach einiger Verzögerung passiert. Die Militäraktionen sind absolut notwendig, um der Opposition gegen einen Despoten zu helfen, der sein Volk unterdrückt.

FOCUS Online: Was halten Sie von der deutschen Enthaltung im Sicherheitsrat?

Radschawi: Darüber bin ich enttäuscht. Die Deutschen wissen genau, wie wichtig eine solche Unterstützung für das Volk wäre. Ich sehe es kritisch, dass Deutschland keine aktivere Rolle spielt und nicht klar Position bezieht. Diese Zögerlichkeit schadet auch dem internationalen Zusammenhalt gegen das Regime von Machthaber Muammar el Gaddafi. Der Westen sollte die Aufständischen in den arabischen Ländern sowie die wachsende Opposition im Iran stärker unterstützen.

FOCUS Online: Ist ein Krieg gegen den libyschen Diktator mit amerikanischer und europäischer Beteiligung gerechtfertigt und könnte er im Nahen Osten nicht auch anti-westliche Ressentiments auslösen?

Radschawi: Das Eingreifen ist durch ein UN-Mandat gestützt. Eine weitere Politik der Beschwichtigung gegenüber Diktatoren verzögert nur die Entstehung von frei gewählten Regierungen. Der Westen trägt durch diese mutlose Haltung vor allem gegenüber dem Iran dazu bei, dass von dort islamischer Fundamentalismus und Terror exportiert werden. Unter dem Vorwand, die Stabilität in der Region zu fördern, haben diese Regierungen allzu lange stillgehalten. Schauen Sie etwa nach Tunesien – an Präsident Ben Ali hat sich 30 Jahre niemand gestört, weil er die Islamisten dort klein hielt. Das war falsch, zumal der schlimmste Nährboden für den Islamismus sich in Teheran befindet.

FOCUS Online: Warum verhielt der Westen sich so widersprüchlich?

Radschawi: Einerseits geht es dem Westen primär um wirtschaftliche Interessen, Iran ist ja auch ein wichtiger Handelspartner. Und schlimmer noch: Ich registriere einen Mangel von Wissen über die religiöse Diktatur, die im Iran herrscht. Dieses Regime kann sich nicht von innen heraus reformieren, das sollte der Westen verstehen. Immer wieder hoffte man auf Wandel, erst mit Rafsandschani, dann mit Chatami – stets vergeblich. Die Situation für die Menschen dort verschlimmerte sich immer nur.

FOCUS Online: Verlangen Sie Sanktionen und Boykotte, um die iranische Opposition zu unterstützen?

Radschawi: Der Westen sollte aus Iran kein Öl mehr beziehen, aber auch ein umfassender Warenboykott wäre wünschenswert. Die Bundesrepublik handelt mit mehr als 3000 Produkten und verkauft dem Iran Güter im Wert von rund vier Milliarden Euro im Jahr. Diese Einnahmen werden auch dazu verwendet, den Unterdrückungsapparat zu finanzieren, Terrorismus zu exportieren und die Atombombe zu bauen.

FOCUS Online: Träfe ein Boykott nicht die Bevölkerung?

Radschawi: Essentiell wären die Anerkennung und die moralische Unterstützung der Widerstandsbewegung dort. Iran ist ja ein reiches Land, aber 80 Prozent seiner Bürger leben derzeit in Armut, weil die Öl-Einnahmen nicht dem Volk zugutekommen. Die Iraner würden einen weitreichenden Boykott gutheißen, denn vom Handel mit dem Ausland profitieren sie sowieso nicht. Das Regime der Mullahs unterdrückt das iranische Volk weitaus brutaler als es Gaddafi tut. Die internationale Gemeinschaft sollte daher alle Beziehungen zu Teheran beenden.

FOCUS Online: Sehen Sie derzeit Grund für Hoffnung, dass das Regime abgelöst werden könnte?

Radschawi: Ja, durchaus. Es ist die Zeit der Hoffnung, auch wenn Iraner hingerichtet werden, nur weil sie an Demonstrationen teilgenommen oder ihre Kinder im Flüchtlingslager Camp Aschraw besucht hatten. Trotz all der Gewalt im Iran gibt es immer wieder Aufstände und die Menschen verlangen Freiheit, Gleichberechtigung und eine Trennung von Staat und Religion. Präsident Mahmud Ahmadinedschad begeht seine Verbrechen unter dem Vorwand des Islam und den schlimmsten Druck übt er somit auf Frauen aus. Die Iraner sind das leid. In unserem Nationalen Rat des Iranischen Widerstands engagieren sich übrigens 50 Prozent Frauen und sie wählten eine Frau an die Spitze.

FOCUS Online: Wann waren Sie zuletzt im Iran und könnten Sie dorthin zurückkehren?
Radschawi: In meiner Heimat war ich zuletzt vor 29 Jahren. Zwei meiner Schwestern wurden hingerichtet. Wenn ich einreiste, würde auch ich umgebracht. Bis es einen demokratischen Wechsel in Teheran gibt, arbeite ich im Exil in Paris weiter daran – als die Stimme der Verfolgten und Getöteten.

* Marjam Radschawi – Die 57-Jährige ist Präsidentin des iranischen Nationalen Widerstandsrates. Die Oppositionspolitikerin lebt seit langer Zeit in Paris im Exil.

Originaltext unter: http://www.focus.de/politik/ausland/iran/iranische-exil-politikerin-radschawi-ich-bin-die-stimme-der-verfolgten-und-ermordeten_aid_612127.html