WIEN (Reuters) – Der Iran und die sechs Großmächte sind bestrebt, diesen Monat in einer großen Runde von Verhandlungen ihren langjährigen Disput über das Nuklearprogramm Teherans zu Ende zu bringen und auf diese Weise die Angst vor einem Krieg im Nahen Osten zu bannen.
Die Zeit wird knapp, der Abstand zwischen den Verhandlungs-positionen bleibt groß, und die Diplomaten geben inoffiziell zu, daß die Gespräche über die bis zum 20. Juli währende Frist hinaus fortgesetzt werden könnten, wenn bis dahin ein Fortschritt erzielt wurde und eine Einigung in Reichweite zu sein scheint.
Hier eine kurze Übersicht über die neuralgischen Punkte, die vom Iran, den Vereinigten Staaten, Rußland, Frankreich, Deutschland, Großbritannien und China überwunden werden müssen, da die Verhandlungen nach monatelangem diplomatischem Schattenboxen in ihre entscheidende Phase gelangt sind.
URANANREICHERUNG
Bei dieser Angelegenheit sind die Positionen am weitesten voneinander entfernt; sie wird als die schwierigste betrachtet. Der Iran besteht auf der Notwendigkeit, seine Kapazität zur Urananreicherung zu erhöhen, um die von ihm geplante Anzahl von Atomkraftwerken versorgen zu können. Demgegenüber erklären die Großmächte, der Iran müsse diese Kapazität erheblich verringern, um den Anschein zu widerlegen, er plane die rasche Herstellung einer Atombombe.
Der Iran besitzt jetzt mehr als 19 000 Anreicherungs-zentrifugen. Die meisten von ihnen sind IR-1-Maschinen früherer Generationen. Etwa 10 000 sind mit der Zunahme der Anreicherung des Uran-Isotops U-235 beschäftigt.
Die Großmächte möchten diese Anlagen bis auf wenige tausend schließen lassen, während dem Iran zehntausende von ihnen vorschweben. Israel, der Erzfeind des Iran und vermutlich die einzige mit Atomwaffen ausgerüstete Macht des Nahen Ostens, erklärt, der Iran sollte überhaupt keine Kapazität zur Anreicherung besitzen.
Niedriggradig angereichert, kann Uran Atomkraftwerke versorgen – darin liegt das erklärte Ziel des Iran; doch bei hochgradiger Anreicherung eignet sich Uran auch als Material für Waffen. Der Westen fürchtet, darin liege das eigentliche Ziel des Landes.
Westliche Fachleute erklären, der Iran könnte nach zwei bis drei Monaten hoch-angereichertes Uran zum Bau einer Bombe produzieren; diese Frist sollte bis zu mindestens einem Jahr verlängert werden. Der Iran erklärt, selbst wenn er solche Waffen wollte, was er verneint, würde er dazu erheblich mehr Zeit benötigen.
DIE FORSCHUNG ZUR ENTWICKLUNG VON ZENTRIFUGEN
Der Iran erklärt, er werde sein Recht auf die Installierung fortschrittlicher Anlagen zur Anreicherung von Uran nicht preisgeben. Der Westen fordert strenge Begrenzung der Entwicklung neuartiger Zentrifugen, denn sie könnten den Iran möglicherweise zur erheblich rascheren Akkumulation von für die Herstellung einer Atombombe benötigtem Spaltmaterial befähigen und somit die für den Bau benötigte Zeit verkürzen.
Mit technischen Problemen und der Schwierigkeit des Erwerbs von Ersatzteilen im Ausland beschäftigt, versucht der Iran schon seit Jahren, die uralte, aus den 70er Jahren stammende IR-1-Zentrifuge, die immer noch in den unterirdischen Anreicherungsanlagen von Natanz und Fordow arbeitet, zu ersetzen.
Im Jahre 2013 installierte der Iran in Natanz etwa 1000 IR-2-Zentrifugen, hat sie allerdings noch nicht in Betrieb genommen. Auch erprobt er in einer weiteren Forschungs- und Entwicklungsanlage andere neuere Modelle.
DER REAKTOR IN ARAK
Der Westen möchte eigentlich den geplanten Schwerwasserreaktor in Arak – mit seiner Möglichkeit, Plutonium zu produzieren – streichen oder durch eine Leichtwasseranlage ersetzen. Der Iran erklärt, dieser Reaktor solle nur Radi-Isotope für die Medizin und für die Landwirtschaft produzieren, und lehnt seine Schließung ab.
Ein Kompromiß könnte nach Ansicht westlicher Diplomaten und Analytiker darin bestehen, daß das jährliche Potential zur Produktion von Plutonium auf erheblich weniger als die 5 kg beschränkt wird, die für eine Bombe benötigt werden. Doch sind einige westliche Fachleute besorgt, jede derartige Lösung wäre umkehrbar und würde dem Iran die Rückkehr zu seinem ursprünglichen Plan gestatten.
SUCHE DER VEREINTEN NATIONEN NACH DER ATOMBOMBE
Vertreter westlicher Regierungen erklären, zu einer umfassenden Vereinbarung mit den Großmächten müsse gehören, daß der Iran einer lange verhinderten Untersuchung seitens der Atomenergiebehörde der UNO zustimme, die dem Verdacht nachgehen würde, er plane den Bau atomarer Sprengköpfe; der Iran verhält sich zu diesem Verdacht leugnend. Er hat zwar der Internationalen Atomenergie-Behörde Zusammenarbeit bei der Aufklärung aller Beschuldigungen angeboten, doch bisher wurde nur ein begrenzter Fortschritt erzielt.
Die Untersuchung der IAEA würde bis zu ihrem Abschluß viele Monate, wenn nicht Jahre benötigen. Westliche Regierungsvertreter und Fachleute schlagen vor, eine Lockerung der Sanktionen von der Zusammenarbeit des Iran mit der in Wien ansässigen UN-Behörde abhängig zu machen. Es ist unklar, ob der Iran alle von ihm in der Vergangenheit zum Zweck des Baus einer Atombombe betriebenen Forschungen offenlegen müßte – was, da er jegliche derartige Arbeit wiederholt geleugnet hat, als schwierig erscheint -, oder ob sich die Großmächte eher auf den Gewinn der Überzeugung verlegen sollten, daß dergleichen Arbeiten inzwischen eingestellt worden seien.
DIE SANTKIONEN
Der Zeitplan einer eventuellen Aufhebung der von der UNO und einzelnen westlichen Regierungen dem Iran während der vergangenen acht Jahre auferlegten Sanktionen gehört zu den schwierigsten Problemen der Verhandlungen.
Der Iran strebt an, daß die Strafmaßnahmen, die seine vom Erdöl abhängige Wirtschaft schwer geschädigt haben und seit der ersten Resolution des UN-Sicherheitsrates im Jahre 2006 allmählich verschärft worden sind, so bald als möglich aufgegeben werden. Dabei scheint er akzeptiert zu haben, daß jedwede Entlastung des Regimes von seiner Einhaltung der noch zu erstellenden Nuklearvereinbarung abhängig wäre.
Während US-Präsident Barack Obama einige Sanktionen auch ohne Zustimmung des Kongresses aufheben könnte, so könnten doch seiner Iran-Politik gegenüber skeptische Abgeordnete die Einhaltung einer Vereinbarung dadurch erschweren, daß sie die Aufhebung weiterer Sanktionen verweigerten.
Regierungsvertreter der USA erklären, Obama sei in dieser Sache zur Übereinstimmung mit dem Kongreß entschlossen. Israel, Hauptverbündeter der USA im Nahen Osten, ist besorgt, jede Aufhebung von Sanktionen würde den Druck auf Teheran zu früh mildern, wenn man nicht darauf bestünde, daß das Regime alle seine nuklearen Aktivitäten aufgäbe.
BALLISTISCHE FLUGKÖRPER
Die Vereinigten Staaten erklären unter Bezugnahme auf eine Resolution des UN-Sicherheitsrates aus dem Jahre 2010, die die iranischen Bemühungen um ballistische Flugkörper, die fähig wären, Atombomben zu transportieren, mit einem Verdikt belegt, auch diese Angelegenheit müsse in einer umfassenden Vereinbarung geregelt werden.
Der Iran betrachtet solche Waffen als wichtige Mittel der Abschreckung und Vergeltung, gerichtet gegen die USA und andere mögliche Gegner in einem Krieg, der im Nahen Osten geführt würde. Der Iran beharrt darauf, seine Flugkörper gehörten zu seiner legitimen, konventionell bewaffneten Armee; er weigert sich, bei den Wiener Verhandlungen über eine Begrenzung dieser Waffen zu diskutieren.
Das Problem der Flugkörper könnte zwar die Verhandlungen ins Stocken bringen, doch meinen die Fachleute und Diplomaten nicht, daß die Verhandlungen an dieser Frage scheitern würden.