Die Situation nach dem Ausbruch des Coronavirus und die Angst vor einem Aufstand des iranischen Volkes
Die Art, wie das iranische Regime sich zu dem Ausbruch des Corona-virus verhält, bestätigt, daß es diese humanitäre Krise als eine Bedrohung seiner Sicherheit empfindet. Seine Funktionäre und die staatlichen Medien haben Warnungen ausgesprochen – vor der Situation nach dem Ausbruch des Coronavirus und vor einem möglichen Aufstand.
Sehen wir in dieser Perspektive auf die gegebene Situation, so können wir verstehen, warum das Regime kontinuierlich viele Menschen aus politischen Gründen verhaftet und in den Gefängnissen die auf die Verbreitung des Virus reagierenden Unruhen unter-drückt; wir können auch die Hinrichtungen verstehen und – was das Wichtigste ist – die vom Regime ununterbrochen betriebene Kampagne der Vertuschung und Täuschung.
Die Gesellschaft des Iran gleicht einem Pulverfaß. Das Volk – besonders die Jugend und die Frauen – hat die 40 Jahre lang vom Regime betriebene Repression satt. Auf der anderen Seite haben die im Regime institutionalisierte Korruption, die miserable Leitung der Wirtschaft und die – zur Finanzierung von Terror-Tätigkeit unternommene – Ausplünderung des Vermögens der Nation die Gesellschaft in die Armut getrieben und zur Steigerung von Inflation und Arbeitslosigkeit geführt. Auch das Coronavirus hat die Arbeitslosigkeit verstärkt und noch mehr Menschen in die Armee der Hungernden getrieben. Doch schon vor seinem Ausbruch waren die extrem geringen Einkommen – besonders die der Arbeiter – nicht in der Lage, die Kosten der Haushalte zu decken. Dazu sagte Hossein Raghfar, einer der Ökonomen des Regimes, Anfang März in einem Interview mit der staatlichen Tageszeitung „Jahan-e Sanat“, zwischen dem Mindestlohn des Iran und den Kosten des täglichen Lebens klaffe eine Lücke von 70%.
„Jetzt sind Arbeiter“ – so sagte er der Tageszeitung „Jahan-e Sanat“ – „durch die Ausbreitung des Coronavirus arbeitslos geworden; jetzt ist unklar, wie sie ihren Grundbedürfnissen und denen ihrer Angehörigen entsprechen sollen.“ Er fuhr fort, die Arbeiter hätten „sehr schwere Tage“ zu bestehen. „Der Mindestlohn deckt nur 30% der Kosten des Haushalts.“ Am Montag schrieb die staatliche Tageszeitung „Sharq“: „Voraussagen zufolge werden auf der Grund der Ausbreitung des Coronavirus zwischen 2,8 und 6,4 Millionen Menschen ihre Arbeit verlieren; 70% von ihnen sind nicht versichert. … Am meisten werden die Arbeiter und die Selbständigen zu leiden haben. Die meisten von ihnen werden unter die Armutsgrenze geraten; wenn die Regierung ihnen nicht wirksam hilft, werden die Krise der Arbeitslosigkeit und die Armut auf andere Gebiete übergreifen.“
Am Sonntag schrieb die staatliche Tageszeitung „Esteqlal“: „In Teheran leben 14 000 Menschen in verheerender Armut – davon 4 600 Kinder. Im Iran lebt eine halbe Million Kinder-Arbeiter; wenn sie nicht arbeiten können, werden sie in eine schwere Krise geraten. Obwohl für die ‚Kinder-Arbeiter‘ die Lage auch vor der Zeit des Coronavirus riskant war, so wird doch in einer Zeit, in der, wenn man keine Vorsichtsmaßnahmen treffen kann und sich von Abfall ernähren muß, die Lebensgefahr immer fühlbarer; sie wird zu einem Weckruf für alle Bereiche der Gesellschaft und zur Warnung für die Regierung.“
Am 1. Mai schrieb die staatliche Website „Jamaran“: „Wenn vor der Revolution ein Arbeiter mit 24 Jahres-Einkommen ein Haus kaufen konnte, so benötigt er dafür jetzt, im Jahre 2020, 137 Jahres-einkommen. Wenn er im Jahre 1979 mit dem Lohn von 13 Monaten ein Peykan-Auto kaufen konnte, so muß er dafür jetzt, im Jahre 2020, den Lohn von 46 Monaten zusammensparen. Wenn er im Jahre 1979 mit dem Lohn eines Monats 74 kg Fleisch kaufen konnte, so bekommt er dafür jetzt nur mehr 17 kg. Und wenn er im Jahre 1979 mit seinem Monatslohn 12 g Gold kaufen konnte, so bekommt er jetzt dafür nur noch 3, 5 g.“
Unter dem Mullah-Regime hat sich die Lage der angestellten Arbeiter nicht verbessert. In den vergangenen Jahren hat sie sich im Gegenteil verschlechtert; ihre Kaufkraft hat jedes Jahr abgenommen. Am 9. April gab Mohammad Shariatmadari, Arbeits-minister in der Regierung Rouhani, bekannt, der Höchste Arbeits-Rat habe „den Mindestlohn auf 1 835 426 Toman (etwa $150) festgesetzt – 21% mehr als im vorigen Jahr.“
Dieser Betrag ist geringer als die offizielle Inflationsrate – 41%. Nach Artikel 41 des Arbeitsgesetzes des Regimes ist es verpflichtet, die Löhne mit Rücksicht auf die von der Zentralbank bekannt gegebene Inflationsrate festzulegen, und dies Jahr hat sie eben diese Rate mit 41% angegeben.
Während die iranischen Arbeiter und die gesamte Gesellschaft unter dieser wirtschaftlichen Not leiden, kontrolliert die finanzielle Institution, die Ali Khamenei, dem Höchsten Führer des Regimes, und den Revolutionsgarden (IRGC) nahe steht, ein riesiges finanzielles Imperium. Dazu fragte die staatliche Tageszeitung „Jomhuri-e Eslami“ am 10. April: „Was sollten denn die ‚Ausführung des Befehls von Imam Khomeini (EIKO)‘, die ‚Mostafan-Stiftung der Islamischen Revolution‘ und ‚Astan Quds Razavi‘ tun, wenn nicht ihr Geld ausgeben für das verarmte Volk?“
„Zu diesen Finanzmächten gehören die ‚Ausführung des Befehls von Imam Khomeini‘, die ‚Mostafan-Stiftung der Islamischen Revolution‘ und ‚Astan Quds Razavi‘. Die gewaltigen Geldmengen, über die diese Zentren verfügen, können, wenn sie den Bereichen der Gesellschaft helfen, die vom Coronavirus geschädigt wurden, ihre Probleme rasch und vollständig lösen. Diese Vermögen gehören“ – so fährt der Artikel fort – „Personen; sie sollten genau in solchen Situationen eingesetzt werden, um die Probleme des Volkes zu lösen.“ Doch das Regime zwang die Armen, anstatt seine Vermögen für das Volk einzusetzen, zur Rückkehr an die Arbeit und zur Beendigung der Quarantäne. Das führte nur zu weiteren Todesfällen und größerer Ansteckung.
Die dazu von Hassan Rouhani, dem Präsidenten des Regimes, geäußerten Äußerungen sind bemerkenswert. In der Rede, mit der er den Befehl an die Arbeiter, mitten in der vom Coronavirus bewirkten Krise an die Arbeit zurückkehren, rechtfertigte, stellte er sie vor die Wahl zwischen dem Sterben am Coronavirus oder Armut und Arbeitslosigkeit. Er sagte: „Das Coronavirus ruft eine Krankheit hervor; doch die Arbeitslosigkeit ist eine große Gefahr. Man sollte das Sterben am Coronavirus nicht einschränken, so lange noch Menschen an der Armut und Arbeitslosigkeit sterben.“
Die wirkliche Bedrohung
Die Menschen an die Arbeit zurück zu schicken, Leute, die über den Ausbruch des Coronavirus die Wahrheit sagen, zu verhaften und die Unruhen in den Gefängnissen zu unterdrücken – das sind die verzweifelten Versuche des Regimes, die Kontrolle über eine widerspenstige Gesellschaft wiederzugewinnen. Wenn man über das Ausmaß dieser Krise die Wahrheit sagt, während das Volk in Quarantäne gesetzt, aber finanziell nicht unterstützt wird – wenn man sie an die Arbeit zurück schickt und diese Situation vertuscht -, dann wird es zu einem Aufstand kommen. Das Regime befindet sich in einer Falle – wie in einer Nußschale.
Dazu schrieb die staatliche Website „Jamaran“ mit Bezug auf die wirtschaftliche Not: „Deshalb besteht ein riesiger Teil der Demonstranten von November 2019 [damals führte die Steigerung der Benzinpreise zu Demonstrationen im ganzen Iran] in arbeitslosen Kinderarbeitern. Welche Wahl hat eine Regierung ohne Öl-Einkünfte und mit einem Defizit von 50% im Budget außer der, Banknoten zu drucken? Das bedeutet eine größere Inflationsrate und ein Schrumpfen des Futterkorbs für das Volk – wodurch die Gewalt der nächsten Proteste noch explosiver werden wird. Wird jemand darauf hören? Besteht der Wille, das Land aus dieser halsbrecherischen Falle hinaus zu führen?“
Ahmad Naderi, einer der Funktionäre des Regimes, sagte am 7. März der staatlichen Tageszeitung „Resalat“: „Ich bin besorgt über die Folgen dieser Krise für die Gesellschaft und die Sicherheit. Es wird bald zu Revolten kommen, die viel umfassender sein werden als die von 2018 und 2019 und sicherlich viel umfassender als die der 90er Jahre.“