Wednesday, March 29, 2023
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Maryam Rajavi im Interview mit FAZ: “Zugeständnisse an Teheran beenden”

Maryam Rajavi im Interview mit FAZ:Die Präsidentin der iranischen Volksmudschahedin appelliert an die Europäer / Von Michaela Wiegel

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10. Februar 2006: AUVERS-SUR-OISE, im Februar. Das beschauliche Dorf, durch das sich der Oise-Fluß lieblich schlängelt, hatte einst vor allem Maler angezogen. Daubigny, Cézanne, Pissarro, und van Gogh zählten zu den berühmten Gästen von Auvers-sur-Oise. Seinen dörflichen Charakter hat der auf 6900 Einwohner   angewachsene Ort 30 Kilometer nördlich von Paris nicht verloren, und so mutet es befremdlich an, am Ende der von Einfamilienhäusern gesäumten Rue de Gords auf einen hohen Sicherheitszaun aus Beton und Überwachungskameras zu stoßen. Hinter den grauen Mauern beginnt, was Lord Russell Johnston die "iranische Insel" nennt. Hier haben sich die schärfsten Kritiker des iranischen Mullah-Regimes niedergelassen, auf die Gastfreundschaft der französischen Behörden vertrauend, die zuvor jahrelang dem späteren islamischen Revolutionsführer Chomeini ein Aufenthaltsrecht in Frankreich gewährten.

Schon fast ein Vierteljahr-hundert währt das Provisorium, dass die Volksmudschahedin stolz als "Headquarter" des Iranischen Widerstandsrates bezeichnen. In dem von Containerbehausungen umgebenen großen Saal herrscht ungewöhnlicher Betrieb: Zum ersten Mal hat die "gewählte Präsidentin" des Iranischen Widerstandsrates, die 52 Jahre alte Maryam Rajavi, in eine Pressekonferenz eingewilligt. An der Seite der in ein elegantes türkisfarbenes Kostüm gekleideten "Präsidentin" haben europäische Parlamentarier, Lord Russell Johnston aus dem britischen Oberhaus, Jean Pierre Michel aus dem französischen und Patrick van  Krunkelsven aus dem belgischen Senat sowie der portugiesische Europaabgeordnete Paulo Casaca, Platz genommen.

Das Plädoyer der obersten Widerstandsbeauftragten und ihrer Gäste ist eindeutig: Angesichts des aggressiven Konfrontationskurses des iranischen Regimes ist es höchste Zeit, den iranischen Widerstand zu stärken. "Wir rufen deshalb eindringlich die EU dazu auf, uns von der Liste der terroristischen Organisationen zu streichen", sagte Maryam Rajavi. In der begeisterten Phase des "kritischen Dialogs" mit Teheran waren die Volksmudschahedin auf iranischen Wunsch von der EU im Herbst 2002 auf die Liste der terroristischen Vereinigungen gesetzt worden. Dem Eintrag als Terrororganisation war kein juristisches Verfahren vorangegangen, es handelte sich um eine politische Entscheidung, die seither den Mitgliedern des Widerstandsrates das Reisen verbietet sowie die Möglichkeit, ein Bankkonto zu eröffnen.

Die Bereitschaft zumindest der französischen Staatsführung, dem Regime in Teheran entgegenzukommen, ging noch weiter. Am 16. Juni 2003 schickte Innenminister Sarkozy eine Hundertschaft Elitepolizisten und Geheimdienstagenten in den frühen Morgenstunden zu einer Großrazzia nach Auvers-sur-Oise. Zwei Dutzend Mitglieder der Volksmudschahedin und auch die überraschte Maryam Rajavi wurden abgeführt und in Untersuchungshaft genommen. Der Chef des Geheimdienstes DST, Pierre de Bousquet de Florian, sagte in einem Zeitungsgespräch, die Volksmudschahedin hätten Terroranschläge auf iranische Ziele in Europa vorbereitet.

Die Antwort aus Teheran auf die Großrazzia ließ nicht lange auf sich warten. Am 18. Juni lobte Präsident Chatami das entschiedene Vorgehen der französischen Behörden gegen die „Terroristen“ und kündigte zugleich an, im Atomstreit die Zusammenarbeit mit der Inter-nationalen Atomenergiebehörde (IAEA) und den französischen Unterhändlern der EU-Troika zu verbessern. Die strafrechtlichen Vorwürfe gegen die festgenommenen Volksmudschahedin erwiesen sich unterdessen allesamt als haltlos. Ein für einen Attentatsplan gehaltener Ausschnitt eines Pariser Stadtplans erwies sich als Entwurf für einen Demonstrationsantrag. Waffen wurden in Auvers-sur-Oise keine gefunden, allenfalls erhebliche Summen Bargeld, die von den Exiliranern mit dem Hinweis auf das Kontoführungsverbot begründet wurden. Alle Strafverfahren sind inzwischen eingestellt. "Die Polizei hat auf peinliche Weise ihre Unterwerfung unter politische Order vorgeführt", sagte der französische Senator Michel im Rückblick. In ihrer Reaktion auf die Razzia hatten sich zwei Volksmudschahedin bei einem Protestzug selbst verbrannt; weitere Mitglieder waren in Hungerstreik getreten.

Maryam Rajavi fühlt sich durch den aggressiven Kurs unter dem iranischen Präsidenten Ahmadineschad in ihren Vorhersagen über die wahre Natur des Mullah-Regimes bestätigt. "Die Alternative besteht nicht zwischen einer Politik der Beschwichtigung und einer militärischen Intervention", sagte sie. Es sei vor allem erforderlich, die europäischen Zugeständnisse an Teheran zu beenden. Sie wirft der EU eine Politik des Appeasement vor, die das Regime in Teheran schamlos ausgenutzt habe. Vor der von den islamischen Revolutionsführern verbotenen iranischen Nationalflagge mit einem goldenen Löwen mit Säbel und der aufgehenden Sonne in der Mitte spricht sie sich für UN-Sanktionen im Waffenhandel, beim technologischen Austausch und im Ölgeschäft aus. Über die Verbrechen des iranischen Regimes am eigenen Volk müsse die internationale Öffentlichkeit aufgeklärt werden. Die Verantwortlichen sollten vor einem internationalen Gericht zur Rechenschaft gezogen werden.

Der nicht mehr zu leugnende Wille der Mullahs, ihre Macht durch den  Besitz von Atomwaffen zu festigen, sei dabei eine der Gefahren, die von dem Regime ausgingen. "Mindestens genauso gefährlich für den Weltfrieden und die Stabilität in der Region sei das Bestreben der Mullahs, die Führerschaft in der islamischen Welt zu übernehmen", sagt Frau Radjavi. Der iranische Expansionismus sei durch den Irak-Krieg gefördert worden. "Der Irak erlebt zur Zeit eine doppelte Besetzung, durch die anglo-amerikanischen Truppen, aber vor allem durch die iranische Unterwanderung. Letztere ist dabei wesentlich beunruhigender", sagte sie. Das Regime in Teheran setze alles daran, einen Friedensprozeß im Nahen Osten scheitern zu lassen, und finanziere deshalb der Auslöschung Israels verschriebene Terrorgruppen wie die Hamas und die Hizbullah.

Als geschickte Propaganda der iranischen Staatsführung betrachtet Maryam Radjavi die in westlichen Medien verbreitete Vorstellung, dass der Aufstieg zur Nuklearmacht für viele Iraner eine Frage des National-stolzes sei. "Der Reichtum  des Landes fließt in das Nuklearprogramm und führt dazu, dass ein Großteil der Iraner in Armut leben muß", sagt sie. Die Volksmudschahedin waren in ihren Anfängen vom Marxismus geprägt, haben sich jedoch im Exil zur freien Marktwirtschaft bekehrt und fordern vor allem eine strenge Trennung von Staat und Religion.

Maryam Radjavi sieht keinen Gegensatz zwischen ihrer muslimischen Identität – sie bedeckt ihre Haare mit einem Kopftuch – und ihrem politischen Engagement. Gerade in einem Land mit einem hohen Bildungsniveau wie in Iran sei es möglich, eine Demokratie zu verankern, die den Islam, aber auch die anderen Religionen respektiert. Über die Möglichkeiten des bewaffneten Kampfes für einen Regimewandel schweigt sich Maryam Radjavi aus. Genauso ausweichend reagiert sie auf die Fragen nach ihrem Mann, Massud Radjavi, der seit Jahrzehnten im Untergrund den Widerstand organisiert. Sie habe ihn zuletzt vor dem Irak-Krieg gesehen, sagt sie. Auf irakischem Staatsgebiet unterhalten die Volksmudschahedin weiter militärische Lager, inzwischen mit Unterstützung des amerikanischen Verteidigungsministeriums. Das bestätigte Maryam Rajavi mit einem Lächeln.