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Pressemitteilung des Gerichtshofs der Europäischen Union

PRESSEMITTEILUNG Nr. 73/11
Luxemburg, den 14. Juli 2011
Schlussanträge des Generalanwalts in der Rechtssache C-27/09 P
Frankreich / People’s Mojahedin Organization of Iran

Generalanwältin Sharpston schlägt dem Gerichtshof vor, das Rechtsmittel Frankreichs gegen das Urteil des Gerichts, mit dem die PMOI von der EU-Terroristenliste gestrichen wurde, zurückzuweisen

Dabei schlägt sie vor, dass die Verfahren in einigen Punkten verbessert werden, um ein angemessenes Gleichgewicht zwischen der Notwendigkeit der Terrorismusbekämpfung und der Beachtung der Grundrechte zu gewährleisten

Im Dezember 2008 erklärte das Gericht erster Instanz (nunmehr Gericht) einen Beschluss des Rates für nichtig, mit dem die People’s Mojahedin Organization of Iran in die europäische Liste terroristischer Organisationen aufgenommen wurde, deren Gelder und andere Vermögenswerte eingefroren werden sollten (1). Damit hat dieses Gericht zum dritten Mal einen solchen Beschluss für nichtig erklärt.

Die früheren Beschlüsse, die das Gericht für nichtig erklärt hatte (2), waren auf das Vorliegen einer Entscheidung des Vereinigten Königreichs gestützt, mit der die PMOI verboten wurde, da das Vorliegen einer solchen Entscheidung einer zuständigen Behörde auf nationaler Ebene eine Voraussetzung für die Aufnahme einer Organisation in die EU-Liste ist. Die PMOI wurde jedoch am 24. Juni 2008 nach der Entscheidung eines nationalen Gerichts im November 2007, mit der die Aufnahme in die Liste als „abwegig“ und „unangemessen“ bezeichnet worden war, von der Liste der im Vereinigten Königreich verbotenen Organisationen gestrichen.

Bei Erlass eines neuen Beschlusses (3) zur Aktualisierung der EU-Liste am 15. Juli 2008 beließ der Rat die PMOI gleichwohl auf der Liste. Die Einbeziehung der PMOI wurde auf Informationen der französischen Regierung über (i) die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens durch die Antiterror-Abteilung der Staatsanwaltschaft beim Tribunal de grande instance de Paris im Jahr 2001 und (ii) zwei ergänzende Anschuldigungen gegen mutmaßliche Mitglieder der PMOI von 2007 gestützt. Der Rat unterrichtete die PMOI hierüber am Tag des Erlasses des Beschlusses.
Das Gericht hat diesen Beschluss für nichtig erklärt und befunden, dass der Rat die Verteidigungsrechte der PMOI dadurch verletzt habe, dass er diese neuen Informationen nicht vor dem Erlass des Beschlusses mitgeteilt habe.

Obwohl dies allein für die Nichtigerklärung des Beschlusses ausreichte, hat das Gericht der Vollständigkeit halber auch die übrigen Argumente der PMOI geprüft. Es hat u. a. befunden, dass die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens und die beiden ergänzenden Anschuldigungen in Bezug auf die PMOI selbst keine Entscheidung einer zuständigen Behörde darstellten, da nicht vorgetragen worden sei, aus welchen Gründen die den mutmaßlichen Mitgliedern der PMOI zugeschriebenen Handlungen der Organisation selbst angelastet werden sollten. Außerdem habe der Rat dadurch, dass er dem Gericht bestimmte Informationen über den Fall vorenthalten habe, deren Freigabe die französischen Behörden abgelehnt hätten, das Grundrecht der PMOI auf einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz verletzt.

Frankreich hat gegen dieses Urteil Rechtsmittel beim Gerichtshof eingelegt.

In ihren heute vorgelegten Schlussanträgen schlägt Generalanwältin Eleanor Sharpston dem Gerichtshof vor, das Rechtsmittel Frankreichs zurückzuweisen.

Was das Versäumnis des Rates betrifft, der PMOI die neuen Informationen, die zum Verbleib dieser Organisation auf der Liste führten, vor dem Erlass des Beschlusses mitzuteilen, tritt Generalanwältin Sharpston der Auffassung des Gerichts entgegen, der Rat habe zwischen dem Erhalt der Informationen von der französischen Regierung am 9. Juni und dem Erlass seines Beschlusses vom 15. Juli unter Berücksichtigung der internen Verfahren des Rates ausreichend Zeit gehabt, um der PMOI diese Informationen zu übermitteln.

Dies hätte ihrer Ansicht nach den Rat jedoch nicht davon abhalten dürfen, der PMOI die Informationen im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs vor dem Erlass eines Beschlusses über ihren Verbleib auf der Liste mitzuteilen. Auch im Fall der Dringlichkeit darf sich der Rat nicht einfach über die Verteidigungsrechte einer Partei hinwegsetzen.

Um den Interessen des Rates, der PMOI und der anderen Personen auf der Liste, die Anspruch darauf haben, dass diese Liste alle sechs Monate überprüft wird, gleichermaßen Rechnung zu tragen, hätte der Rat nach Ansicht von Generalanwältin Sharpston in Bezug auf die anderen Personen auf der Liste innerhalb des erforderlichen zeitlichen Rahmens einen Beschluss fassen, einen solchen in Bezug auf die PMOI aber solange aufschieben sollen, bis er die Möglichkeit hatte, die PMOI zu unterrichten und die Antwort der Organisation zu berücksichtigen. Der Fehler des Rates bestand ihres Erachtens darin, dass er davon ausging, er müsse einen einzigen Beschluss über sämtliche Personen und Organisationen auf der Liste gemeinsam fassen. Dies ist nicht der Fall.

Folglich teilt Generalanwältin Sharpson die Auffassung des Gerichts, dass der Beschluss des Rates unter Verstoß gegen die Verteidigungsrechte der PMOI erlassen worden sei. Da das Gericht den Beschluss allein aus diesem Grund für nichtig erklärt hat, schlägt die Generalanwältin dem Gerichtshof vor, das Rechtsmittel zurückzuweisen.

Durchaus im Bewusstsein dessen, dass die verbleibenden Argumente keinen Einfluss auf die Entscheidung des Rechtsstreits haben, hält Generalanwältin Sharpston deren Prüfung gleichwohl für wichtig. Andernfalls ließe man für Frankreich gerade die Unsicherheit bestehen, die es in erster Linie dazu geführt hat, ein Rechtsmittel einzulegen, und die von anderen Mitgliedstaaten sehr wohl geteilt werden könnte.

Zu der Frage, ob die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens im Jahr 2001 und die gegen einzelne mutmaßliche Mitglieder der PMOI im Jahr 2007 vorgebrachten ergänzenden Anschuldigungen einen Beschluss einer zuständigen Behörde darstellen, vertritt Generalanwältin Sharpston zunächst die Auffassung, dass das Erfordernis eines nationalen Beschlusses in Bezug auf „die betroffenen Personen, Vereinigungen und Körperschaften” angesichts der Tatsache, dass Terroristen den Behörden normalerweise nicht entgegenkommen, indem sie sich als solche erkennbar niederlassen, weit auszulegen ist. Sie hält es daher nicht für erforderlich, dass der nationale Beschluss genau dieselben Personen oder Organisationen wie der Beschluss der EU nennt. Es reicht aus, dass ernsthafte und schlüssige Beweise oder Indizien dafür vorliegen, dass es sich bei den genannten Personen im Wesentlichen um dieselben handelt.

Zur Art des nationalen Beschlusses vertritt die Generalanwältin die Auffassung, dass ein einfacher Beschluss, Ermittlungen einzuleiten, als solcher nicht ausreicht. Andererseits wäre das Erfordernis, dass der nationale Beschluss von einem Gericht getroffen werden muss, zu streng. Notwendig sind ernsthafte und schlüssige Beweise oder Indizien, die einen Terrorakt vermuten lassen und über einen bloßen Verdacht oder eine bloße Annahme erheblich hinausgehen. Nach Ansicht von Generalanwältin Sharpston erfüllt daher die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens im Jahr 2001, die zu weiteren Verfahren (mise en examen im Sinne des französischen Rechts) im Jahr 2003 geführt hat, diese Voraussetzungen, nicht aber die ergänzenden Anschuldigungen von Jahr 2007, die keiner mise en examen unterlegen haben. Da der Rat die beiden Gesichtspunkte zusammenfasst, können die französischen Beschlüsse nicht die Grundlage für den Beschluss des Rates bilden.

Ferner stimmt die Generalanwältin mit dem Gericht darin überein, dass durch keinerlei Beweise belegt ist, dass die im Jahr 2007 gegen vermeintliche Mitglieder der PMOI eingeleiteten Ermittlungen so verstanden werden können, dass sie sich gegen die PMOI selbst richten.

Was schließlich die Zurückhaltung vertraulicher Informationen gegenüber dem Gericht betrifft, geht Generalanwältin Sharpston nicht auf dessen Feststellung ein, dass die Weigerung des Rates, die fraglichen Informationen mitzuteilen, dazu geführt habe, dass das Gericht die Rechtmäßigkeit des Beschlusses nicht habe prüfen können. Mangels spezieller Vorschriften in den Verfahrensvorschriften des Gerichts, wie Informationen zu behandeln sind, die dem Gericht, nicht aber der Gegenpartei des Rechtsstreits mitgeteilt werden müssen, hält die Generalanwältin die Haltung Frankreichs gleichwohl nicht für unangemessen. Dem Gericht war es strikt im Einklang mit seiner Verfahrensordnung nicht möglich, dem Rat zuzusichern, dass die vertraulichen Informationen nicht zu irgendeinem Zeitpunkt der PMOI mitgeteilt würden. Daher schlägt Generalanwältin Sharpston vor, die Verfahrensordnung zu ändern und Grundsätze zu entwerfen, die die Verwendung solcher vertraulichen Informationen ermöglichen, wenn sie zur Bekämpfung des Terrorismus erforderlich sind, und gleichzeitig die Verteidigungsrechte und das Recht auf einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gewährleisten.

(http://curia.europa.eu/jcms/upload/docs/application/pdf/2011-07/cp110073de.pdf)

 

(1) Urteil des Gerichts erster Instanz vom 4. Dezember 2008, People’s Mojahedin Organization of Iran II (T-284/08), siehe dazu PM 84/08.
(2) Urteile des Gerichts erster Instanz vom 12. Dezember 2006, Organisation des Modjahedines du peuple d’Iran (T-228/02), siehe dazu PM 97/06), und vom 23. Oktober 2008, People’s Mojahedin Organization of Iran (T-256/07), siehe dazu PM 79/08.
(3) Beschluss des Rates 2008/583/EG vom 15. Juli 2008 zur Durchführung von Artikel 2 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 2580/2001 über spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus und zur Aufhebung des Beschlusses 2007/868/EG (ABl. 2008, L 188, S. 21).