Brief der Ärzte von Camp Liberty an die UNO
Camp Liberty – Nr. 67
In einem Brief an Frau Navi Pillay, die Hohe Kommissarin der Vereinten Nationen für die Menschenrechte, schilderten die neun Ärzte von Camp Liberty sowie der Rechtsbeistand der Bewohner den Prozeß der Krankheit und Behandlung von Behruz Rahimian und die Art, wie irakische Geheimagenten sich ihm gegenüber betrugen – besonders am 25. November 2012. Sie schrieben in ihrem Brief: Wenn die Agenten die Aufnahme Behruz’ in die Coronary Care Unit (CCU – Station für die Behandlung der Herzkranzgefäße) nicht verhindert hätten, wäre er höchstwahrscheinlich nicht in einen todbringenden Zustand gekommen.
Als Ärzte, die seit 25 Jahren mit den medizinischen Problemen der Bewohner Ashrafs befaßt sind, wiesen sie auf die medizinische Situation in Liberty hin und baten die Hohe Kommissarin, in dieser Angelegenheit zu intervenieren, um die unmenschliche medizinische Blockade, der Camp Liberty unterworfen ist, zu beenden.
Der Brief, den auch der Dolmetscher von Behruz während seines letzten Besuchs im Krankenhaus unterschrieben hat, bezeichnet die von Martin Kobler in seinem am 26. Dezember an den Vertreter der Bewohner gerichteten Brief getroffenen Bemerkungen und seine Äußerung vor Associated Press einen Tag später, am 27. Dezember, als fehlgeschlagenen Versuch, die Wirklichkeit in ihr Gegenteil zu verkehren, um damit der Regierung zu ermöglichen, den Konsequenzen zu entkommen, die sich aus der todbringenden Folter an Patienten ergeben. Kobler hatte geschrieben: „Ärzte bestätigen, sein Zustand erfordere keine Aufnahme in ein Krankenhaus,“ und er „verfüge bisher über keine Anzeichen, die dafür sprächen, daß irakische Stellen eine Behandlung verhindert hätten“. Die Ärzte schrieben in ihrem Brief, damit gebe er dem Opfer anstatt dem Unterdrücker die Schuld.
Kopien dieses Briefs wurden an den Generalsekretär der Vereinten Nationen und seinen politischen Stellvertreter, an den Hochkommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge, an den Besonderen Vertreter der Außenministerin der Vereinigten Staaten, an den Besonderen Vertreter des Generalsekretärs der Vereinten Nationen für den Irak und seinen Stellvertreter sowie viele andere international angesehene Persönlichkeiten geschickt. In einem Teil des Briefes heißt es, der Dolmetscher von Behruz habe den Leiter der Beobachtergruppe der UNAMI zweimal telefonisch um Hilfe gebeten; dieser habe ihn um Zurückhaltung gebeten und zugesagt, er werde sich der Sache annehmen. Doch es wurde nichts unternommen; das feindselige Verhalten der Agenten führte dazu, daß der Patient und sein Dolmetscher nach Liberty zurückkehren mußten. Der Bericht der Ärzte fügt hinzu, Behruz sei sehr geduldig und tolerant gewesen, doch während des Rückwegs vom Krankenhaus und in den darauf folgenden Tagen sei er wegen des Betragens der Agenten sehr aufgebracht gewesen; er habe gesagt, ihr Betragen habe eine psychologische Folter an ihm dargestellt.
Die Ärzte von Liberty unterstrichen, der Fall von Behruz sei nicht der erste seiner Art und werde, wenn die Situation anhalte, auch nicht der letzte sein. Sie schilderten die Einschränkungen und Obstruktionen, derer die irakische Regierung sich gegen die Bewohner bedienen, um sie an freiem Zugang zu ärztlichen Diensten zu hindern. Auch schrieben sie:
- Die Zahl ernsthaft kranker Patienten liegt für Camp Liberty höher als 800; unter ihnen sind viele, die während der Überfälle auf Ashraf im Juli 2009 und im April 2011 verletzt wurden. Ein praktischer Arzt in Camp Liberty erklärte sich außerstande, für mehr als 800 Patienten, die Termine bei Fachärzten in Bagdad benötigen, eine Prioritätenliste zu erstellen. Das dortige Gesundheitszentrum kann nur bis zu 15 Patienten am Tag behandeln.
- Vom 20. Februar bis zum 20. Dezember 2012, also 10 Monate lang (304 Tage) wurden insgesamt nur 255 Patienten zur Behandlung nach Bagdad gebracht; 216 Patienten, denen die Lagerklinik den Besuch von Fachärzten in Bagdad empfohlen hat, warten immer noch auf diese Möglichkeit. Sie wurden nicht ein einziges Mal nach Bagdad gebracht. Desgleichen warten 148 Patienten auf chirurgische Behandlung.
- Diese Klinik besitzt nur einen Krankenwagen. In den meisten Fällen treffen die Patienten und ihre Betreuer beim Transport unzuträgliche Verhältnisse an. Selbst wenn man annimmt, daß keine weiteren Patienten hinzukommen, würde es länger als zwei Jahre dauern, bis die Behandlung der jetzigen Patienten beendet wäre.
- Die Zustände in Liberty sind noch weit härter. Die irakische Regierung hat den Transport unserer eigenen Klinik und ihrer medizinischen Ausrüstung, darunter der CT-Anlage der Klinik für innere Medizin in Ashraf, nach Liberty nicht genehmigt. Wir benutzten diese Ausrüstung für unsere regulären Patienten und zur Beobachtung der schwer Kranken. Diese Anlagen sind von den Bewohnern während der vergangenen 26 Jahre benutzt worden, auch in der Zeit, in der die Truppen ver Vereinigten Staaten für die Sicherheit Ashrafs verantwortlich waren. Wenn nun den Bewohnern diese Anlagen vorenthalten werden, so zielt diese Annahme auf den Tod kranker Flüchtlinge in Liberty.
- Seit zwei Monaten werden die Patienten von Agenten, die mit dem Amt des irakischen Premierministers verbunden sind, begleitet. Sie schränken die medizinische Behandlung der Patienten schwerweigend ein; daher deren beständige Klagen über psychologische Folter, Kränkungen und Demütigungen, die ihnen die Agenten zufügen. Diese gestatten nicht einmal den privaten Besuch eines Arztes. Sie beharren darauf, daß der Patient oder sein Dolmetscher mit dem Arzt nur arabisch spricht.
Von diesen Repressionen und Drangsalierungen wurde im November und Dezember 2012 31mal an die Herren Kobler und Busztin, den SRSG und seinen Vertreter, berichtet, ebenso an Herrn Francesco Motta im Büro der UNAMI für die Menschenrechte sowie an Frau Claire Bourgeois im Amt des UNHCR. Außerdem brachten der Vertreter der Bewohner und ihr Rechtsbeistand diese Probleme bei mindestens neun Sitzungen in Anwesenheit eines Vertreters der UNAMI am 16., 30. und 31. Oktober, 4., 6. und 20. November sowie am 6. und 18. Dezember zur Sprache. Die Beamten versprachen, die Agenten würden sich in medizinische Angelegenheiten nicht mehr einmischen und die Patienten nicht weiter drangsalieren. Doch diese Verpflichtungen wurden nicht nur nicht eingehalten, die Drangsalierungen nahmen im Gegenteil noch zu.
- Bei Zusammenkünften mit Vertretern der UNAMI am 9., 15., 18., 23. und 25. Oktober, 1., 2., 5., 6., 20., 25. und 27. November und am 3., 4., 5., 6., 10., 11., 13., 15., 22. und 23 Dezember brachten Vertreter der Bewohner und ihr Rechtsbeistand diese Dinge zur Sprache, jedoch ohne Erfolg.
- In allen erwähnten Berichten und bei allen Sitzungen wurden alle Fälle von Grundrechtsverletzungen der Patienten – wie das Recht auf freien Zugang zu Medizin und Ärzten, Begleitung durch einen Dolmetscher und eine Schwester, die Vertraulichkeit der Beziehung zwischen Arzt und Patient, ebenso wie verschiedene Fälle, in denen Patienten die Aufnahme in Krankenhäuser verweigert, Termine gestrichen, der Erwerb von Medikamenten verhindert und medizinische Behandlung im Lager verschleppt wurde, erläutert.
Am Ende ihres Briefes an die Hohe Kommissarin für die Menschenrechte, baten die neun Ärzte, die in Liberty praktizieren, sie um Intervention bei drei spezifischen Problemen:
- Jegliche Einmischung durch den militärischen Geheimdienst des Irak und Elemente des Amtes des irakischen Premierministers in die medizinischen Angelegenheiten der Bewohner muß verhindert werden.
- Die Zahl der Patienten, die täglich nach Bagdad gebracht werden, muß auf 10 erhöht werden. Wenn die Zahl von Krankenwagen und Fahrern erhöht werden muß, so können die Ambulanzen der Bewohner von Ashraf nach Liberty gebracht werden; die Bewohner würden auf eigene Kosten Fahrer anstellen.
- Die medizinische Ausrüstung der Bewohner muß von Ashraf nach Liberty gebracht werden; sie muß wie früher gebraucht werden, um die ärztliche Versorgung der Patienten zu verbessern.
Sekretariat des Nationalen Widerstandsrates Iran
30. Dezember 2012