Saturday, July 27, 2024
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“Die Europäische Union war naiv”

Ayatollah Jalal GanjeiDer einstige Khomeini-Schüler Ayatollah Ganjei fordert die Einschaltung des Weltsicherheitsrats und Sanktionen gegen das Mullah-Regime

Ayatollah Ganjei im Interview mit "Die Welt"

DIE WELT: Was treibt den iranischen Präsidenten Ahmadi-Nedschad zu seinen Haßtiraden gegen Israel?

Ayatollah Jalal Ganjei: Das ist ein sehr ernster Vorgang. Damit bedient das Regime die rückständigen Teile der Gesellschaft. Für Ayatollah Chamenei, den religiösen Führer, sind solch antiwestlichen Slogans überlebenswichtig. Damit lenkt er von der Krise ab, in der das Land steckt. Die islamischen Fundamentalisten haben diese Rhetorik denn auch begrüßt.

DIE WELT: Wie stark ist Ahmadi-Nedschad?

Ayatollah Ganjei: Die verbalen Angriffe sind ein Zeichen des Scheiterns der Politik seit den Tagen Khomeinis. Das gilt auch für Ahmadi-Nedschads Amtsvorgänger Chatami und Rafsandschani. Das Regime hat nur zwei verschiedene Gesichter gezeigt, ein moderates, dann ein fanatisches.

DIE WELT: Warum riskiert Ahmadi-Nedschad nun eine weitergehende Isolation seines Landes?

Ayatollah Ganjei: Er hat sich das nicht ausgesucht, er ist dazu gezwungen, diesen Weg zu gehen. Chamenei, der religiöse Führer, hat dies so entschieden. Er hat jede Art von Mäßigung beiseite geschoben.

DIE WELT: Wie weit ist der Iran von der Atombombe entfernt?

Ayatollah Ganjei: Das ist schwer zu sagen. Klar ist jedoch, daß das Regime nicht mehr viel Zeit braucht, wenn es erst mit der Uran-Anreicherung im Iran beginnt.

DIE WELT: Warum ist eine Lösung des Konflikts um das iranische Atomprogramm so schwierig?

Ayatollah Ganjei: Es kann unglücklicherweise keine Lösung geben, weil das Regime die Entwicklung nuklearer Waffen vorantreibt und die Anreicherung von Uran auf iranischem Boden unbedingt durchführen will. Die Europäische Union war bisher naiv, wenn sie glaubt, die Anreicherung verhindern zu können. Für diesen Gegensatz gibt es derzeit keine Lösung.

DIE WELT: Was soll die EU denn tun?

Ayatollah Ganjei: Die EU sollte die Fehler der vergangenen Dekade vermeiden und die Politik des Appeasement mit dem Regime nicht weiterverfolgen. Diese Beschwichtigungspolitik hatte eine sehr negative Wirkung auf das iranische Volk, weil sie die Botschaft aussandte, daß sich die Welt mit den Mullahs arrangiert. Der Westen sollte mit den iranischen Demokraten zusammenarbeiten. Ein erster Schritt dazu wäre es, die Volks-Mudschaheddin von der Liste terroristischer Gruppen zu nehmen.

DIE WELT: Die EU, die Handelsanreize anbietet, wenn Teheran im Gegenzug die Uran-Anreicherung im eigenen Land unterläßt, soll nicht weiterverhandeln?

Ayatollah Ganjei: Die Verhandlungen der EU sind gescheitert. Viel Zeit ist durch die Gespräche schon verstrichen.

DIE WELT: Ist die US-Position besser?

Ayatollah Ganjei: Die amerikanische Haltung ist auch noch nicht ausgereift. Denn Washington zögert, die Nuklearakte Iran vor den UN-Sicherheitsrat zu bringen. Dies ist nicht das richtige Signal. Der Fall Iran muß vor den Weltsicherheitsrat, nur das wäre eine feste und klare Haltung.

DIE WELT: Was kann der Westen erreichen?

Ayatollah Ganjei: EU und USA sollten gemeinsam an einem Strang ziehen. Sie stehen schon in der gleichen Front. Dazu gibt es keine Alternative, weil das iranische Regime eine Bedrohung für beide und für den Weltfrieden ist, wenn es Atomwaffen entwickelt, Terrorismus und islamischen Fundamentalismus unterstützt. Auch Rußland und China müssen verstehen, daß der Iran eine Gefahr darstellt.

DIE WELT: Aber die Russen machen Geschäfte mit Teheran.

Ayatollah Ganjei: Viele Seiten treiben Handel mit dem iranischen Regime. Die internationale Sicherheit darf dadurch nicht unterminiert werden.

DIE WELT: Also eine militärische Option, wie sie in Washington nicht ausgeschlossen wird?

Ayatollah Ganjei: Ein Militäreinsatz ist nicht nötig, niemand will eine derartige Lösung. Es reicht, wenn das Regime mit Sanktionen der Uno belegt wird und damit gezwungen wird, zu entscheiden, ob es politisch überleben oder weiter nach Atomwaffen streben will. Dieser Druck würde die Chancen der Opposition erhöhen, das Regime zu überwinden. Das Regime ist schwach und schürt daher die Konfrontation.

DIE WELT: Schaden Sanktionen nicht vor allem der Bevölkerung?

Ayatollah Ganjei: Das Volk leidet schon sehr unter dem Regime, viele leben unter der Armutsgrenze, die Arbeitslosigkeit ist sehr hoch, die Versorgungslage schlecht. Das Volk hat daher nichts mehr zu verlieren. Nur Sanktionen können verhindern, daß die Führung weiter am Atomprogramm und am Export von Terror und islamischem Fundamentalismus festhält. Die große Mehrheit der Iraner will den regime change.

DIE WELT: Wie stark ist die Opposition?

Ayatollah Ganjei: Der iranische Widerstand hat entscheidend dazu beigetragen, daß das Nuklearprogramm des Mullah-Regimes aufgedeckt wurde. Das Kräfteverhältnis würde sich für die Opposition deutlich verbessern, wenn die Mudschaheddin im Westen von der Terrorliste gestrichen werden. Das würde dem iranischen Volk ein Zeichen der Hoffnung geben, sich zu erheben.

DIE WELT: Welche Rolle spielt die iranische Führung im Irak?

Ayatollah Ganjei: Das Regime spielt verschiedene Karten im Irak aus. Irakische Kräfte sind in der Vergangenheit im Iran aufgenommen, ausgebildet und auch eingesetzt worden, sie sind loyal zum iranischen Führer. Daneben schickt das Regime auch terroristische Gruppen in den Irak, die gegen die Koalitionstruppen vorgehen. Die Rolle des Iran im Irak geht auf Khomeini zurück. Als ich Schüler von Ayatollah Khomeini war, als er vor 40 Jahren im irakischen Nadschaf lehrte, war der daran interessiert, auch in Bagdad zu herrschen. Nachdem Khomeini im Iran an die Macht gekommen war, 1979, erklärte er, daß alle Moslems der Welt eine einzige islamische Regierung haben sollten, selbst zum Preis eines Weltkriegs. Diesem politischen Testament Khomeinis fühlen sich die Machthaber heute in Teheran verpflichtet.
Das Gespräch mit Ayatollah Ganjei führte Manfred Pantförder.

Religiöser Kopf der Opposition
Ayatollah Jalal Ganjei, Jahrgang 1943, hat sich früh vom totalitären Kurs seines Lehrmeisters, Ayatollah Khomeini, abgewandt, der die islamische Revolution im Iran 1979 zum Sieg führte. Er fiel mit seiner antifundamentalistischen Haltung in Ungnade, verließ Anfang der 80er Jahre den Iran und lebt heute im Pariser Exil. Ayatollah Ganjei, zu dessen Klassenkameraden der jetzige religiöse Führer in Teheran, Ayatollah Ali Chamenei, zählte, ist der profilierteste religiöse Dissident in der iranischen Opposition. Er hat sich dem Nationalen Widerstandsrat angeschlossen, der sich als Exilparlament versteht und für einen Regimewechsel kämpft. Teil dieser Bewegung sind auch die sogenannten Volksmudschahedin, die auf Drängen der iranischen Führung von der Europäischen Union 2002 als terroristische Gruppierung eingestuft worden sind. Die Mudschahedin hatten schon gegen den Schah gekämpft und waren dann von Khomeini fallengelassen worden, als der die Macht errungen hatte. pan

Artikel erschienen am Don, 12. Januar 2006