Fotos einiger Opfer des Massakers von 1988 im Iran in einer öffentlichen Ausstellung
Von: Alejo Vidal-Quadras
1988 unternahm das iranische Regime das systematische Massaker an politischen Gefangenen . Im Verlauf weniger Monate wurden nahezu 30 000 Häftlinge über ihre politischen Ansichten und Verbindungen von „Todeskommissionen“ befragt und dann summarisch zum Tode verurteilt, wenn sie es unterließen, vollständige Loyalität gegenüber dem theokratischen Regime zu demonstrieren. Die Verfahren konzentrierten sich in erster Linie auf Leute, die der Organisation der Volksmudschahedin des Iran (PMOI-MEK) nahestanden, deren Aktivisten außerhalb des Landes versuchten, die internationale Gemeinschaft mit Nachrichten über das laufende Massaker zu erreichen.
Zahlreiche Politiker und Diplomaten in Europa und Nordamerika wurden zeitgleich über die schwerwiegendste Anstrengung des iranischen Regimes, Abweichungen aus dem Wege zu schaffen, informiert, aber fast alle von ihnen stellten sich blind, weil sie offensichtlich glaubten, dass dieser innere Widerstand zu schwach oder zu unorganisiert sei, um für die Mullahs eine ernst zu nehmende Herausforderung bilden zu können. Obwohl fehlgeleitet, hat diese Überzeugung die westliche Politik gegenüber dem Kleriker Regime die meiste Zeit in den vier Jahrzehnten bestimmt, die es jetzt an der Macht ist. Genauer gesagt hat es diese Politik zu einem Verrat von westlichen Kernprinzipien verführt und die Vernachlässigung des Massakers von 1988 ist vielleicht das am meisten beschämende Beispiel.
Wofür auch immer dieses Schweigen etwas wert gewesen sein mag, so war es anscheinend motiviert durch einen Impuls, mehr Gutes zu schaffen. Nachdem sie nicht in der Lage waren, die Existenz einer gangbaren Alternative zum theokratischen System des Iran zu erkennen, entschieden sich viele westliche Politiker dafür, dass ihre beste Option sei, normale Beziehungen mit dem Regime zu unterhalten, weil man ein Interesse daran habe, „moderate“ Amtsträger gegenüber ihren Hardliner Kollegen zu fördern. In der Praxis bedeutete das, jede ernsthafte Verärgerung des Regimes als Ganzem zu vermeiden, selbst wenn diese Handlungsweise auf Kosten des Lebens normaler Iraner ging.
Was die internationale Gemeinschaft 1988 hätte erkennen müssen, war, dass kein iranischer Amtsträger in Wahrheit als „moderat“ betrachtet werden kann, wenn er zuschaut und Zeuge ist oder sich aktiv beteiligt bei einer weitgehenden politischen Säuberung wie dem Massaker in jenem Jahr. Während die Urheber der westlichen Appeasement Politik versuchen mögen, sich damit zu verteidigen, dass sie wahrscheinlich nichts über das Morden wussten, als es passierte, so wurde es mehrfach demonstriert, dass jeder etwas höher gestellte iranische Amtsträger etwas über das Massaker wusste und es in Wirklichkeit in Kauf nahm.
Dieser Tatbestand wurde noch einmal deutlich, als am Dienstag, dem 18. August 2020, Amnesty International etwas über das Massaker in seinem Twitter Account in Farsi ins Netz stellte. In dieser Botschaft wurde ausgeführt, dass die Angehörigen von politischen Gefangenen sich im Sommer 1988 an die Menschenrechtsorganisationen gewandt hatten, um klarzumachen, dass die Visitationen im ganzen Land gestoppt werden müssten und dass es einen zunehmenden Verdacht über breit gestreute Misshandlungen und Tötungen gebe. Amnesty reagierte schnell, indem es eine Erklärung zu einer „dringenden Maßnahme“ herausgab und direkt mehrere Minister der iranischen Regierung und Amtsträger ansprach, darunter den Justizminister.
Unter diesen Umständen war es unmöglich für jede prominente Figur im Regime, unwissend zu bleiben über den Plan der Führung, die Abweichungen auszumerzen.
Es war auch unwahrscheinlich, dass irgendjemand in den Rängen des Regimes aufsteigen konnte, ohne dass er etwas über die Morde erfuhr und sie billigte. Auch der heutige Aufbau der Führung spiegelt ein Muster wieder, dass die Unterstützer politischer Gewalt belohnt und Kritiker bestraft hat.
Das heißt nicht, dass es viele Kritiker gegeben hätte. Nur von einem früheren Amtsträger des Regimes ist bekannt, dass er sich gegen das Massaker an politischen Gefangenen gestellt hat. Es ist bemerkenswert, dass es 1988 Ajatollah Khomeinis ausersehener Nachfolger war. Leider verhinderte das nicht, dass er vollkommen vom Regime ausgebootet und später unter Hausarrest gestellt wurde, wo er die letzten Jahre seines Lebens verbrachte.
Wäre dem nicht so gewesen, so hätte Ali Hossein Montazeri die Art von Person werden können, mit denen westliche Politiker in Kontakt hätten treten können, um die Mäßigung des Regimes zu befördern, aber wenn sie die Schrift an der Wand gesehen hätten, hätten sie gewusst, dass die zukünftigen Verhandlungspartner nur aus den Reihen von Personen wie Ebrahim Raisi und Alireza Avaie kommen konnten, die beide in den Todeskommissionen tätig waren, die bei den Hinrichtungen von 1988 federführend waren und die jetzt jeweils als Justizchef und Justizminister des Regimes amtieren.
Normalerweise wäre es unfair, Politiker verantwortlich zu machen dafür, dass sie Jahre zuvor nicht in der Lage waren, den Entwicklungsverlauf vorherzusagen, den eine auswärtige Regierung durchläuft. Aber in diesem Fall sollten, wenn eine Hoffnung auf Mäßigung das Leitprinzip der westlichen Politik gegenüber dem Iran gewesen wäre, die Nachrichten über weit verbreitete Morde ein Ende für den Traum von 1988 oder kurz danach bedeutet haben. Ganz gewiss bot das Prinzip nichts, was eine Rechtfertigung für das Außer Acht lassen eines eindeutigen Verbrechens gegen die Menschlichkeit enthielte. Jeder iranische Amtsträger, der vor Kritik an diesem Verbrechen zurückgescheut wäre, hätte sich als genauso unwürdig für ein Engagement im Ausland bloßstellen müssen wie Ajatollah Khomeini selbst.
Nach 32 Jahren ist es nahezu undenkbar, dass irgendjemand noch die Hoffnung auf Mäßigung setzt. Es ist vollkommen undenkbar, dass irgendjemand diese Hoffnung als Grund dafür anführt, Forderungen nach Verantwortlichkeit der Täter bei dem Massaker von 1988 weiterhin zu vermeiden. Deshalb sollte jeder, der daran interessiert ist, vergangene Fehler der westlichen Politik wieder gut zu machen, jetzt den Anstoß geben für eine Untersuchung der lange außer Acht gelassenen Morde und diese Untersuchung sollte als erster Schritt auf dem Weg zur Anklage gegen die Täter bei dem Massaker vor dem Internationalen Strafgerichtshof sein.
Die bevorstehende Sitzung der Vollversammlung der Vereinten Nationen liefert die perfekte Gelegenheit für Regierungen, die 1988 geschwiegen haben, ihre Stimmen zu erheben und die Aufmerksamkeit auf das zu richten, was Montazeri als das „schlimmste Verbrechen der Islamischen Republik“ bezeichnete und was andere das schlimmste Verbrechen gegen die Menschlichkeit genannt haben, das in dem halben Jahrhundert nach dem II, Weltkrieg stattgefunden hat. Es gibt kein Statut der Begrenzung für solch ein Verbrechen und es gibt keinen Punkt, an dem Schweigen oder Komplizenschaft verzeihlich werden bei einem Ausbleiben der Sühne.
Westliche Führer müssen handeln, um den Fehlern ihrer Vorgänger entgegen zu treten – nicht nur den Fehler, bei dem Massaker von 1988 weggeschaut zu haben, sondern auch den Fehler, zu glauben, dass Teheran sanft in die Richtung der Achtung der Menschenrechte gestupst werden könnte.
Dr. Alejo Vidal-Quadras
Alejo Vidal-Quadras, Professor für Atom- und Kernphysik, war Vizepräsident des Europäischen Parlaments von 1999 bis 2014. Er ist Präsident des International Committee In Search of Justice (ISJ) [Internationales Komitee Auf der Suche nach Gerechtigkeit]