Tuesday, September 10, 2024
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Ich war Augenzeuge der Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch den aktuellen iranischen Präsidenten

Ich war 15 Jahre alt, als ich 1981 von iranischen Sicherheitskräften festgenommen wurde. Nachdem klar war, dass ich ein Unterstützer der Volksmojahedin Iran (PMOI/MEK) bin, wurde ich einem Scheinverfahren unterzogen und das führte dazu, dass ich zu 10 Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Ich hatte sieben Jahre dieser Haftstrafe abgesessen, als der oberste Führer des Regimes, Ruhollah Chomeini, eine Fatwa herausgab, in der er alle Anhänger der MEK zu Feinden von Gott erklärte und ihre Hinrichtung ohne Gnade oder Zögern anordnete.

Nachdem im Sommer 1988 die Teheraner „Todeskommissionen“ gebildet wurden, um diese Fatwa umzusetzen, wurde ich sechs Mal in den „Todeskorridor“ des Gohardasht-Gefängnisses gebracht. Somit hatte ich mit Ebrahim Raisi, der 2021 Präsident des klerikalen Regimes werden sollte, einen intensiveren Umgang als die meisten meiner Mithäftlinge. Ebrahim Raisi war eines von vier Mitgliedern des Todeskomitees und meine Erfahrung mit ihm bestätigte, was viele andere Überlebende des Massakers von 1988 im Laufe der Jahre gesagt haben. Er war sowohl besonders enthusiastisch als auch besonders mechanisch bei der Erfüllung seiner ihm übertragenen Aufgabe.

Wer ist Ebrahim Raisi, ein Kandidat bei der iranischen Präsidentenwahl und Hinrichter beim Massaker von 1988

Von dem, was ich persönlich gesehen und aus zweiter Hand gehört habe, gab es mehrere Gelegenheiten, bei denen die Kollegen von Raisi in den Todeskommissionen die Angemessenheit der Todesstrafe für bestimmte angeklagte Unterstützer der MEK und anderer Dissidentengruppen in Frage stellten und dennoch wurden sie von Raisi überstimmt. Der junge geistliche Richter Raisi war vor der Fatwa stellvertretender Staatsanwalt von Teheran und übernahm nun eine aktivere Rolle bei dem folgenden Massaker als sein unmittelbarer Vorgesetzter.

Die Bereitschaft von Raisi, ungestraft zu töten, hat sich für ihn während seiner gesamten Karriere immer wieder ausgezahlt. Sein erster Auftritt in den Gefängnissen Evin und Gohardasht erlangte offenbar die Aufmerksamkeit des obersten Führers und während das Massaker noch stattfand, wurde Raisi‘s Gerichtsbarkeit erweitert, nachdem Chomeini ihm befahl, die „Schwäche der Justiz“ in mehreren anderen Städten durch seine Umsetzung zu korrigieren, was sie dann „Gottes Gebot“ nannten.

Diese Sprache zeigt, dass der Gott der Mullahs immer ein blutrünstiger Gott war. Es war ein Gott, der nicht nur die systematische Ermordung von Tausenden erlaubte, sondern auch befahl, die autoritäre Macht zu sichern. Aus dem Inhalt von Chomeini‘s Fatwa und aus den Erfahrungen der damaligen politischen Gefängnisinsassen ging klar hervor, dass die Absicht des Regimes mit dem Massaker von 1988 darin bestand, die PMOI sowie jede andere ernsthafte Bedrohung der theokratischen Diktatur vollständig zu vernichten.

In den Jahren nach dem Massaker hat das geheime Netzwerk der MEK die Orte der Massengräber enthüllt und kam zu einer Schätzung von etwa 30.000 für die Gesamtzahl der Todesopfer, die 1988 in etwa drei Monaten hingerichtet wurde. Für diejenigen, die in einer der Haftanstalten des Regimes anwesend waren und es schafften, diese Zeit zu überleben, ist diese Schätzung sehr leicht zu akzeptieren. Von Hunderten anderer Anhänger der PMOI, von denen ich wusste, dass sie in diesem Jahr mit mir in Gohardasht inhaftiert waren, war ich einer der wenigen, die lebend herauskamen.

Soweit ich das beurteilen kann, verdanke ich mein Leben einem Schreibfehler. Nach einer meiner Begegnungen mit der Todeskommission von Raisi wurde das schriftliche Urteil offenbar zurückgelassen, als ich aus dem Raum geführt wurde. Ich blieb bis spät abends in einem Vorraum, während ein Gefängnisbeamter Namen vorlas und als er dann nicht wusste, was er mit mir sonst anfangen sollte, brachte er mich in meine Zelle zurück.

Die Person, die mich sonst an den Galgen geschickt hätte, war mir als Hamid Abbasi bekannt, er heißt aber auch Hamid Noury. Unter diesem Namen wird er derzeit in Schweden wegen Kriegsverbrechen und Massenmord angeklagt, die auf seine Beteiligung am Massaker von 1988 zurückzuführen sind. Noury ist der allererste iranische Vertreter, der für die Massenhinrichtungen zur Rechenschaft gezogen wird und seine Rolle dabei erscheint gering im Vergleich zu einigen von ihnen, wie beispielsweise Raisi, der wiederholt belohnt wurde.

„Ihr hättet auch hingerichtet werden sollen“ – Politischer Gefangener erinnert sich an das Massaker in iranischen Gefängnissen

2019 übernahm Raisi auf Befehl des Obersten Führers Ali Khamenei die Kontrolle über die iranische Justiz. Die Position gab ihm die Gelegenheit, wichtige Aspekte des Vorgehens des Regimes gegen abweichende Meinungen zu beaufsichtigen. Die Opposition zum Regime eskalierte, nachdem iranische Aktivisten Anfang 2018 einen landesweiten Aufstand unter der Führung der „Widerstandseinheiten“ der PMOI organisiert hatten. Als im November 2019 ein Aufstand in noch größerem Ausmaß ausbrach, reagierte das Regime mit einigen der brutalsten Repressionen seit dem Massaker von 1988, bei denen 1.500 Menschen innerhalb von nur Tagen getötet und unzählige andere monatelang gefoltert wurden.

Weil er diese Folter beaufsichtigte, bewies Raisi während der Niederschlagung, dass sein Engagement für politische Gewalt immer noch so rücksichtslos und ruchlos war wie zu seiner Zeit in der Todeskommission. Ich würde auch von dem Mann, den ich 1988 erlebte, auch nichts anderes erwarten, wie jemanden, der durch die Listen der Todesurteile geht wie jemand, der durch die Seiten einer Zeitschrift blättert. Es war klar, dass seiner Ansicht nach – wie auch des obersten Führers – jedes Zeichen einer anhaltenden Unterstützung der MEK oder ihrer demokratischen Werte eine ausreichende Rechtfertigung für eine Hinrichtung war.

Das Massaker von 1988 an politischen Gefangenen im Iran: Augenzeuge Akbar Samadi

Die Aussicht auf Kollateralschäden stand der Vollstreckung dieses Urteils nicht im Wege. Während ein Schreibfehler mich gerettet hat, weiß ich mit Sicherheit, dass andere durch das gleiche Phänomen zum Scheitern verurteilt waren. In mindestens einem Fall hat Nouri einen Namen aus seiner Liste der Hinrichtungsbefehle falsch gelesen, was dazu führte, dass der Empfänger einer geringeren Strafe zum Tode verurteilt wurde. Zu gegebener Zeit wurde dann auch der Mann, der eigentlich zum Galgen gehen sollte, dorthin geschickt.

Als ich im Laufe der Jahre mit anderen Überlebenden und anderen direkt vom Massaker von 1988 betroffenen Personen gesprochen habe, bin ich auf verschiedene andere Geschichten wie diese gestoßen, sowie auf Geschichten von Angehörigen von Gefangenen, die von Angst und Trauer so geplagt waren, dass sie krank wurden und unmittelbar nach dem Massaker starben, wodurch die Zahl der Todesopfer de facto die 30.000-Marke weit übersteigt.

Zweifellos trägt Raisi für all dies die Hauptverantwortung, obwohl diese Verantwortung letztendlich in gewissem Maße von all denen getragen wird, die während des Massakers hochrangige Regierungsämter bekleidet oder für die Justiz gearbeitet haben. Aus diesen Gründen begrüße ich die strafrechtliche Verfolgung von Hamid Noury durch Schweden mit Nachdruck und erwarte, dass er die härteste Strafe erhält, hoffe aber auch, dass das wahre Erbe seines Falles ein Modell für die Anwendung der „universellen Gerichtsbarkeit“ auf alle bekannten Täter des Massakers von 1988 sein wird.

Auf der Grundlage dieses Grundsatzes wurde Noury 2019 in Schweden wegen im Iran begangener Verbrechen festgenommen. Auf der Grundlage dieses Prinzips könnte Raisi bei seiner Ankunft in jedem Staat festgenommen werden, der universelle Menschenrechtsprinzipien schätzt. Rechtswissenschaftler haben sich in den letzten Konferenzen zum Thema Menschenrechtsverletzungen und seiner Ernennung zum Präsidenten für diese Vorgehensweise ausgesprochen und sogar behauptet, dass er wegen Völkermords angeklagt werden könnte.

Wenn ich an die endlosen Reihen leerer Zellen zurückdenke, die übrig blieben, nachdem die Todeskommission von Raisi ihre Arbeit beendet hatte, kann ich nicht anders, als zu denken, dass keine andere Anklage die Ungeheuerlichkeit seines Verbrechens angemessen beschreiben könnte.