Thursday, September 12, 2024
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Ein neuer Diktator bringt den Irak an den Rand des Abgrunds

 

Von Struan Stevenson, dem Vorsitzenden des Ausschusses des Europäischen Parlaments für die Beziehungen zum Irak / Quelle: The Hill

Die gewalttätige Verhaftung des führenden sunnitischen Abgeordneten Ahmed al-Alwani im Irak stellt einen weiteren Schritt auf dem rapiden Abstieg des Landes zu sektiererischer Anarchie und zum Bürgerkrieg dar.

Alwani ist der Vorsitzende des wichtigen Parlamentsausschusses für Wirtschaft. Und – noch wichtiger – er ist der führende Kritiker von Premierminister Nouri al-Maliki und entschiedener Opponent gegen die Ausbreitung des iranischen Einflusses im Irak. 

Vor kurzem hat er in Ramadi Demonstrationen gegen die von der schiitisch geführten Regierung ausgeübte sektiererische Repression angeführt. In einem Schreiben an die Hohe Vertreterin der Europäischen Union für auswärtige Angelegenheiten – Frau Catherine Ashton – beklagte er die erschreckende Situation der Menschenrechte, indem er auf das Massaker an wehrlosen iranischen Dissidenten in einem Flüchtlingslager bei Bagdad als Beweis der bösartigen Herrschaft Malikis verwies. Die geradezu unvermeidliche Reaktion des zunehmend despotischen Premierministers bestand in einem pompösen Terrorakt gegen Alwani; am Samstag, den 28. Dezember wurde in der Morgenfrühe ein großes Kontingent schwer bewaffneter Soldaten mit 50 gepanzerten Fahrzeugen und einem Militär-Hubschrauber entsandt, um ihn in seinem Haus, gelegen in einem Dorf in der Provinz Anbar, festzunehmen. Bei dem folgenden Gemetzel wurden Alwanis Bruder, acht weitere Familienmitglieder und Leibwächter erschossen; der Abgeordnete selbst wurde in ein Bagdader Gefängnis gezerrt. 

Die Immunität, die ihm als irakischem Abgeordneten zukam, wurde von Maliki nach Belieben ignoriert; er behauptet, terroristische Straftaten längen jenseits solcher Artigkeiten der Verfassung. Dies Verhalten ist dem irakischen Premier bereits zur Routine geworden. Fast genau vor einem Jahr wurden Haus und Büros des sunnitischen Finanzministers Rafie al-Issawi von Sicherheitskräften überfallen. 150 Leibwächter und sonstige Mitarbeiter wurden wegen angeblichen Terrorismus verhaftet; sie hatten in den sechs überwiegend sunnitischen Provinzen des Landes Proteste und Demonstrationen in Gang gesetzt. Dieser Vorfall folgte dem Versuch einer Verhaftung des irakischen Vize-Premierministers Tariq al-Hashemi an dem Tage, nachdem die Truppen der Vereinigten Staaten –  am 19. Dezember 2011 – aus dem Irak abgezogen waren. Hashemi, der ranghöchste Sunnit in der irakischen Regierung, war ebenfalls ein entschiedener Kritiker Malikis und Opponent gegen die iranische Einmischung im Irak. Seine 13 Leibwächter wurden verhaftet, gefoltert und zum Tode verurteilt. Hashemi selbst wurde – nicht weniger als fünfmal – in Abwesenheit zum Tode verurteilt und lebt jetzt im türkischen Exil. 

Die gegen die führenden sunnitischen Politiker durch den demonstrativ schiitischen Premierminister gerichtete Repression scheint einem einfachen Schema zu folgen. Bei jedem Besuch in Teheran erhält er Anweisungen von seinem Marionettenspieler Ayatollah Khamenei. Dazu gehört jedes Mal die Verhaftung eines weiteren sunnitischen Führers, durchzuführen, wenn Maliki nach Bagdad zurückgekehrt ist. Auch unternimmt er dann jedes Mal geradezu stereotyp einen militärischen Überfall auf die 3 000 Volksmojahedin (MEK oder PMOI), die als Flüchtlinge in einem Lager bei Bagdad festgehalten werden. Das iranische Regime fürchtet und haßt die MEK als ihre wichtigste politische Opposition. Die Mullahs haben wiederholt den irakischen Premierminister aufgefordert, sie zu vernichten. Bisher haben die entsprechenden blutigen Überfälle der irakischen Truppen unter diesen wehrlosen Männern und Frauen zu mehr als 130 Todesfällen geführt. Sieben Geiseln, darunter sechs Frauen, wurden am 1. September von Gruppen der irakischen SWAT entführt und werden immer noch an einem geheimen Ort in Bagdad festgehalten. Eine der Geiseln wurde im irakischen Gewahrsam getötet – so berichteten iranische Medien in der vorigen Woche. Die Vereinigten Staaten, die Europäische Union und die Vereinten Nationen, die sämtlich diesen Menschen im Irak schriftlich Schutz zugesichert haben, verweigern jegliche Intervention. 

Der jüngste Überfall auf die MEK fand am 27. Dezember statt – wenige Tage nach der Rückkehr Malikis von Teheran. Drei Flüchtlinge wurden getötet und 71 verletzt, als Dutzende Katjuscha-Raketen und Boden-zu-Boden-Geschosse auf Camp Liberty – in der Nähe des Bagdader Flughafens – herabregneten. Die irakische Regierung hindert bis heute die 3 000 Flüchtlinge daran, ihre Helme und Schutzwesten, die sie an ihrem früheren Wohnort Camp Ashraf zurückgelassen haben, zu holen. Mehr als 17 500 Stellwände aus Beton wurden von den irakischen Truppen vorsätzlich entfernt, um die 3 000 Flüchtlinge zu wehrlosen Opfern der blutigen Überfälle zu machen. Auch darin, daß Maliki militärischem Personal des Iran und der Hisbollah überall im Irak freien Zutritt verschafft, um die Diktatur von Bashir al-Assad im benachbarten Syrien zu stützen, liegt – ominös genug – Gehorsam gegenüber Teheran.

Die Belohnung für Malikis unterwürfigen Gehorsam gegenüber den Forderungen der Mullahs wird darin bestehen, daß sie ihm eine dritte Amtszeit als Premierminister ermöglichen. Die Wahlen sollen am 30. April stattfinden. Die zunehmend rebellische Stimmung im Lande, der Konflikt der Sekten, die Menschenrechtsverletzungen, die Korruption, die Folter, die geheimen Gefängnisse und die Massenhinrichtungen deuten auf eine Niederlage. Doch es ist mehr als wahrscheinlich, daß er mit seinen iranischen Verbündeten einen gewaltigen Wahlbetrug in Szene setzen wird. Der Westen, der stupiderweise Maliki unterstützt hat, sieht mittlerweise der Spirale, die sich auf einen irakischen Bürgerkrieg hin bewegt, ohnmächtig zu. Es ist an der Zeit, daß die USA, die EU und die UNO ihr Rückgrat wiederfinden. Sie haben die neue Diktatur im Irak wie gelähmt kommen lassen und ringen jetzt die Hände in der Frustration darüber, daß dieser Staat zu einem Fehlschlag wird – mit dem Iran als seinem einzigen Wohltäter.

Struan Stevenson ist ein konservatives Mitglied des Europäischen Parlaments aus Schottland und Vorsitzender der Delegation des Europäischen Parlaments für die Beziehungen zum Irak.