Gefangene Iraner sollen Revolutionsgarden sein
Von DANIEL-DYLAN BÖHMER
Die Welt – DAMASKUS – Bei den in Syrien von Rebellen entführten 48 Iranern soll es sich um Revolutionsgarden handeln. Das geht aus Informationen der oppositionellen iranischen Volksmudschahedin hervor, die der „Welt“ vorliegen. Danach betreibt der Iran systematisch und in großem Maßstab den Transport von Spezialkräften nach Syrien.
Teheran – engster Verbündeter von Syriens Diktator Baschar al-Assad – hatte behauptet, bei den Gefangenen handele es sich um friedliche Pilger. Die syrischen Aufständischen hatten die Männer am Samstag entführt und als „iranische Schergen“ bezeichnet.
In Syriens Millionenmetropole Aleppo haben die Regimetruppen unterdessen eine neue Großoffensive gestartet. „Die Entscheidungsschlachtum Aleppo hat begonnen“, sagte Aufständischenkommandeur Abu Omar al-Halebi. Die Regimetruppen hatten in den vergangenen Tagen eine Vielzahl von Soldaten vor Aleppo zusammengezogen und zusätzliche Artilleriewaffen in Stellung gebracht.
Nachschub aus Iran für Assads Truppen?
Iranische Regimegegner: Teheran schickt in großem Stil Spezialkräfte nach Syrien
• Ein Netz von Fluglinien und Tarnfirmen soll den Transport organisieren
Immer wieder gab es Hinweise und Gerüchte, dass das iranische Regime Syriens Diktator Assad im Kampf gegen sein Volk nicht nur politisch unterstützt, sondern auch mit eigenen Truppen.
Am Samstag hatten die syrischen Rebellen gar eine Gruppe von 48 gefangenen Iranern präsentiert, die sie als „iranische Schergen“ bezeichneten. Während Teheran entrüstet erklärte, bei den Entführten handele es sich um einfache Pilger, die auf dem Weg nach Mekka gewesen seien, und ihre Freilassung forderte, zeigten die Rebellen in einem Internetvideo angebliche Militärausweise und Waffenbesitzkarten der Gefangenen. Wem kann man glauben in einem Krieg, der auch mit manipulierbaren Geschichten und Bildern geführt wird? Nun stützen weitere Hinweise, die der „Welt“ vorliegen, die Version der Rebellen.
Die iranische Oppositionsgruppe der Volksmudschahedin identifiziert die Gefangenen als Angehörige der iranischen Revolutionsgarden, also der paramilitärischen Elitetruppe des Iran, die als besonders regimetreu und einflussreich gilt. Die Männer seien durch ein ausgeklügeltes Reisenetz ins Land gebracht worden, für das die Machthaber in Teheran eigene Strukturen samt Tarnung eingerichtet hätten und das noch zahlreiche weitere Kräfte ins Land schleusen solle. Bei den Festgenommenen handele es sich um Angehörige einer insgesamt 150 Mann starken Truppe, die nach ihrem Eintreffen in Damaskus in drei Bussen zu ihrem Einsatzort hatten gebracht werden sollen. Die Rebellen gaben an, die Iraner mitsamt einem Reisebus entführt zu haben. Als Tarnung für den Transport von Spezialkräften nach Syrien setzten die Revolutionsgarden das „Kultur- und Dienstleistungsinstitut Samen Alaeme“ ein, das vorgeblich für die Organisation von Pilgerreisen zuständig, in Wahrheit aber von Hassan Ashtiani eigens gegründet worden sei. Bei dem Mann handelt es sich um den Führer der Al-Quds-Einheit, der Auslandskampftruppe der Revolutionsgarden. Im Irak und Libanon sollen sie in der Vergangenheit Ausbildungslager für befreundete Organisationen betrieben, sie beraten und mit Waffen versorgt haben. Angehörige der Einheit würden mit Direktflügen der privaten iranischen Gesellschaft Mahan-Air aus Teheran und Isfahan nach Damaskus geflogen, zum Teil aber auch über die libanesische Hauptstadt Beirut oder das irakische Nadschaf. Das Dossier der Volksmudschahedin nennt auch Namen mehrerer Organisatoren der Transporte.
Natürlich ist die Quelle dieser Informationen nicht neutral: Die Volksmudschahedin sind eine marxistisch-religiöse Oppositionsgruppe, die schon unter dem Schah-Regime und später gegen die Mullahs kämpfte. Dabei setzte sie auch Terror ein, von dem sie sich mittlerweile aber distanziert. Die EU strich die Organisation 2009 von ihrer Terrorliste. Die Informationen der Volksmudschahedin gelten im Allgemeinen als einigermaßen zuverlässig. Von ihnen stammten auch die ersten Berichte über das iranische Atomprogramm.
Die Tatsache, dass Teheran Assads belagertes Regime zu retten versucht, dürfte niemanden überraschen. Das Mullah-Regime gilt als engster Verbündeter der ehedem sozialistisch orientierten Militärjunta in Damaskus. Erst vor wenigen Tagen erklärte der Iran erneut offiziell seine Solidarität mit Assad. Zudem teilt Syriens alawitische Elite auch die schiitische Grundausrichtung mit den Iranern – anders als die Mehrheit der Syrer, die Sunniten sind. Darin liegt auch die Brisanz der nun aufgetauchten Informationen: Wenn sie stimmen, dann zeigen sie, dass nicht nur ein paar versprengte iranische Berater in Syrien aktiv sind, sondern dass der Iran systematisch und in größerem Maßstab eigene militärische Kräfte im Land einsetzt – zur Unterstützung des schiitischen Regimes gegen seine sunnitische Bevölkerung. Die patriotische Rhetorik Assads wäre damit vollends untergraben. Der Iran müsste als aktive Konfliktpartei in Syrien angesehen werden.
Für einen Einsatz in großem Maßstab sprechen jedenfalls die Informationen der Volksmudschahedin: Danach gehe der Transport von Kräften der Al-Quds-Einheiten auch nach der Entführung weiter. Der folgende Flug sei allerdings aus Sicherheitsgründen über die irakische Stadt Nadschaf umgeleitet worden, eines der schiitischen Zentren im Irak, wo die Revolutionsgarden ihren Einfluss zuletzt stark ausweiten konnten. Im ganzen Land rekrutierten die Revolutionsgarden derzeit Kräfte für den Einsatz in Syrien, neben der Hauptstadt Damaskus und Isfahan auch in Maschhad, Täbris und anderen Großstädten. Der iranische Außenminister Ali Akbar Salehi gab am Mittwoch zwar zu, dass es sich bei einigen der Entführten um Revolutionsgarden handele, es seien aber lediglich pensionierte Beamte.
Ein organisierter Zustrom iranischer Hilfskräfte würde die Lage der syrischen Rebellen noch weiter erschweren. Schon am Dienstag hieß es, den Kräften in der Millionenstadt Aleppo gehe die Munition aus. Am Mittwoch sollen syrische Regierungstruppen mit Panzern in Aleppo vorgerückt sein und die Rebellen aus wichtigen Bastionen der Stadt vertrieben haben. Die Wirtschaftsmetropole – Syriens bevölkerungsreichste Stadt – ist zurzeit der Brennpunkt der Kämpfe. Doch sollten die Rebellen in großen Schlachten geschlagen werden, dann dürfte der Krieg zunehmend asymmetrische Züge erhalten, also mit Terrormitteln weitergeführt werden. Auch aufseiten der Rebellen sind zweifelhafte Kräfte aktiv, etwa militant-islamistische Sunnitengruppen, die al-Qaida zugeordnet werden. Sunnitische Islamisten waren es auch, die am Samstag den Reisebus mit den 48 Iranern in ihre Gewalt brachten.